Führung 4 Minuten Lesezeit MA­DAM – Mehr Wert­schät­zung und Mit­spra­che für die Fah­ren­den der Leip­zi­ger Ver­kehrs­be­trie­be Startseite Angebote INQA-Experimentierräume Praxisbeispiele
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  • Mithilfe des INQA-Experimentierraums MADAM haben sich die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) auf die Zukunft vorbereitet.
  • Dabei haben Mitarbeitende verschiedener Bereiche und Hierarchiestufen zusammengearbeitet.
  • Mangelnde Wertschätzung der Fahrgäste gegenüber dem Fahrpersonal sowie der Wunsch nach mehr Mitbestimmung bei der Dienstplangestaltung haben sich als wichtige Themen herausgestellt.

Vor einigen Jahren saß Joachim Rösler zum ersten Mal auf dem Fahrersitz eines Busses der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) – und blieb. Seitdem transportiert der Familienvater mit seinem 18-Meter-Gefährt fast täglich Fahrgäste durch die sächsische Großstadt, immer auf Sicherheit bedacht und meist auch gut gelaunt. Auch wenn die Wertschätzung im Job manchmal besser ausfallen könnte. Nicht selten erleben die Fahrer*innen im ÖPNV unfreundliche oder gar aggressive Fahrgäste. Als die LVB im Jahr 2018 beschlossen, einen INQA-Experimentierraum ins Leben zu rufen und dafür interessierte Mitarbeitende suchten, war Rösler sofort zur Stelle. „Durch solch ein Projekt kann man nicht nur persönlich etwas dazulernen, sondern auch helfen, das Unternehmen voranzubringen.“

Das Projekt MADAM

Mit dem INQA-Experimentierraum „Mobile Arbeit wird digital, digitale Arbeit wird mobil, kurz: MADAM“, wollten sich die LVB aktuellen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder dem Fachkräfteengpass widmen. Mehr als 60 Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen und über verschiedene Hierarchiestufen hinweg waren im dreijährigen Projektzeitraum beteiligt. Dabei nutzte das Team die Methode des Design Thinking, die inzwischen von immer mehr kleinen und mittleren Unternehmen eingesetzt wird. Dazu gehörte beispielsweise, dass Mitglieder des Projektteams Interviews mit Mitarbeitenden führten und sie bei ihrer Arbeit begleiteten und beobachteten.

Unterwegs mit einer Straßenbahnfahrerin

Auch der Mobilitätsberater Frank Struck hat sich im Rahmen von MADAM ein eigenes Bild vom Arbeitsalltag der Fahrenden gemacht: „Sie müssen das Verhalten von Menschen gut einschätzen können: Bleibt der Mann dort stehen? Geht diese Frau noch vor meiner Straßenbahn über die Gleise?“ Dieses Ausmaß an Verantwortung sei ihm vorher nicht bewusst gewesen. „Die Fahrenden machen einen sehr wichtigen Job und haben viel mehr Wertschätzung verdient.“ An dieser, das zeigten die Befragungen und Beobachtungen des MADAM-Teams deutlich, mangelt es jedoch viel zu oft.

Mehr Kontakt? Gerne! Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Busfahrerin Sandy Kläge über Fahrgäste, die lieber einen weiteren Weg zur hinteren Tür gehen, als vorne bei ihr einzusteigen.

Mehr Wertschätzung durch direktes Feedback

Das MADAM-Team wollte einen Weg finden, der zu mehr Wertschätzung führt und auch zur LVB passt. Das Team entschied sich zum einen für sogenannte Swing Cards – knallgelbe Karten, die in den Bussen und Bahnen aushingen und die Möglichkeit boten, ein Lob oder eine Botschaft an den*die Fahrer*in zu hinterlassen. Die Passagiere konnten sie den Fahrenden persönlich übergeben, sie später portofrei versenden oder per QR-Code online übermitteln, was sehr gut angenommen wurde. Zum anderen sollten die Fahrer*innen lernen, hörbarer und damit sichtbarer zu werden. Dafür lud das Projektteam einen Radiomoderator ein, der sie dazu ermutigte, ihre Stimme am Mikrofon häufiger einzusetzen. In der anschließenden Pilotphase testeten sie das Eingeübte im Arbeitsalltag.

Auch Joachim Rösler war bei dem Workshop dabei. „Die Leute reagieren in der Regel positiv auf persönliche Durchsagen. Und je kurzweiliger die ist, desto besser das Feedback“, beschreibt er seine Erfahrung.

Ein ‚Danke‘ wäre schön Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Straßenbahnfahrer Jens Zocher erzählt aus seinem Arbeitsalltag und erklärt, wie „Swing Cards“ funktionieren.

Dirigieren von Schichtdiensten und Privatleben

Weniger Arbeitsdruck durch mehr Autonomie – dieses Prinzip steht hinter dem Schlagwort Partizipative Dienstplangestaltung. Die Idee: Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, erhalten mehr Mitspracherecht bei der Planung ihrer Arbeitszeiten und können so ihr Berufs- und Privatleben besser in Einklang bringen. Jens Zocher, der seit 30 Jahren in Leipzig als Straßenbahnfahrer tätig ist, würde dieses Prinzip auch gern für die Dienstpläne der LVB anwenden. „Wir wünschen uns mehr Freiräume und mehr Mitsprache“, sagt er.

Als Leiterin Personaleinsatz trägt Simone Merkel Mitverantwortung dafür, dass der öffentliche Nahverkehr verlässlich durch die Straßen und über die Schienen Leipzigs rollt. „Ich sag immer: Die Dienstplangestaltung im ÖPNV lässt sich nicht mit der eines Supermarktes vergleichen. Total partizipativ kann das bei uns nicht sein. Denn wenn jede und jeder sich immer seinen Lieblingsdienst nimmt, dann bleiben automatisch welche übrig – und dann steht der Verkehr teilweise still.“

Doch es sei wichtig, Mitsprache zu ermöglichen und auf Wünsche Rücksicht zu nehmen. Zum Teil praktizieren es die LVB bereits – Mitarbeitende mit besonderen Bedürfnissen erhalten mehr Freiräume, wie Alleinerziehende oder Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

Damit alle mehr beim Dienstplan mitsprechen können, hat das Team des INQA-Experimentierraums MADAM neue Ideen entwickelt, die nun in das Projekt MoDa (Mitarbeiterorientiertes Dienstplanangebot) mit einfließen.

Von starren Dienstplänen zum selbstgestalteten Dienstpool

Im Gegensatz zu dem vorherigen festen Schichtsystem existieren heute viele verschiedene Profile: Ein Frühprofil geht zum Beispiel von drei Uhr morgens bis 15 Uhr, das so genannte Beamtenprofil von fünf bis 17 Uhr und das Spätprofil von elf bis 23 Uhr.

Die Fahrenden geben ein Wunschprofil an und erhalten zu 85 Prozent eine Schicht in diesem Zeitfenster“, erklärt Merkel. Aktuell arbeitet das MoDa-Team an einer Weiterentwicklung: „Unser Ziel ist es, dass sich die Beschäftigten ihre Dienste langfristig selbst nehmen können“, so Merkel. Die nächste Stufe für eine flexiblere Dienstplan-Gestaltung ist der Dienstpool: Dort sehen die Mitarbeitenden die vorhandenen Dienste und können ihre Wünsche eintragen.

„Das Bedürfnis Arbeit und Familie besser miteinander zu verbinden, gewinnt immer mehr an Stellenwert. Da muss sich die Arbeitswelt anpassen“, resümiert Merkel. Bei der Eingabe der Wunschprofile – und auch bei der Umsetzung des Dienstpools – hilft „Meggie“, ein Tablet, das seit 2016 zur Ausstattung der Fahrer*innen gehört und auf dem sich alle Dienstpläne befinden.

Nach dem Abschluss von MADAM

Anfang 2022 lief der INQA-Experimentierraum MADAM aus. Das Team präsentierte die Ergebnisse vor der Geschäftsführung der LVB und stieß dort auf offene Ohren. Vieles, was erarbeitet und getestet wurde, ist daraufhin bald Alltag geworden: Die Partizipative Dienstplangestaltung wurde weiter ausgebaut, somit profitieren künftig alle Beschäftigten davon, das Angebot an Diensten einzusehen und entsprechend auswählen zu können.

Seit März 2024 steht allen Mitarbeitenden der digitale Wissens- und Lerncampus („Bildungsportal“) zur Verfügung. Dort finden sich E-Trainings aus fast allen Arbeitsbereichen zur Verfügung – von Arbeits- und Gesundheitsschutz bis zu digitalen Lerninhalten für die Fahrschule. Auch das im Rahmen von MADAM entwickelte Konzept für mobile Arbeit wurde umgesetzt und ist in Form einer Konzernbetriebsvereinbarung „Regelung mobile Arbeit / Homeoffice“ seit 25.05.2022 in Kraft.

In den Broschüren „Erfolg mit Ansage – Wie Sie informative Durchsagen persönlich, kompetent und originell gestalten“ (bei den LVB auf Nachfrage erhältlich) und „Mit Design Thinking betriebliche Innovationen schaffen“ sowie dem Praxishandbuch „Digitalisierung in kommunalen Betrieben gestalten“ wurden die Ergebnisse so aufbereitet, dass auch andere Unternehmen sie nutzen können.

Kreativ am Mikrofon Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Sandy Kläge und Joachim Rösler demonstrieren, wie sie bei ihren Durchsagen im Bus unterhaltsam auf Alltagssituationen eingehen.
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