Alte Ziegel, Brocken von Putz oder eine ausrangierte Toilettenschüssel – der Bauschutt, den Christoph Reichhardt tagtäglich stemmen muss, ist oft einige Hundert Kilo schwer. Als Monteur im Sanitär-Heizungs- und Klima-Handwerk (SHK) gehört die Schlepperei für ihn zum Berufsalltag. Sein Job sei „vielseitig und abwechslungsreich“, sagt Reichardt, er umfasse viele Fachrichtungen, von Sanitär- und Trockenbau, Fliesenlegen über Elektrik bis zur Solartechnik.
Aber er verlangt den Handwerker*innen auch einiges ab. Viele der Installationsarbeiten sind körperlich sehr fordernd und dabei ist das Heben schwerer Gegenstände nur das eine. Oft müssen die Techniker*innen stundenlang mit dem Werkzeug über Kopf hantieren oder über längere Zeit in unnatürlichen Positionen verharren. Kaputte Knie und Schäden am Rücken führen häufig zu Frühverrentung und viele junge Leute ziehen eine Ausbildung im Bereich SHK aufgrund der körperlichen Belastungen gar nicht erst in Betracht.
Den Beruf gesünder machen – und damit attraktiver
„Wir müssen Maßnahmen entwickeln, die dazu beitragen, dass Menschen, die im Handwerk schwere körperliche Tätigkeiten verrichten, ihre Arbeit länger behalten können“, sagt Matthias Thiel vom Zentralverband Sanitär Heizung Klima (ZVSHK). Gleichzeitig soll der Beruf auch für Frauen attraktiver werden, denn der sich abzeichnende Fachkräfteengpass schafft zusätzlichen Handlungsbedarf.
Gemeinsam mit INQA hat der ZVSHK daher seit 2019 im Rahmen des INQA-Experimentierraum Handwerksgeselle 4.0“ nach Lösungen gesucht, wie Fachkräfte körperlich und kognitiv entlastet werden können. Dafür testete das Team Unterstützungssysteme wie Exoskelette und Datenbrillen. Ein Exoskelett ist eine äußere Stützstruktur: Durch Schlaufen an Armen und Beinen und gespannte Gummibänder an Brust und Rücken unterstützen sie die Muskeln und Sehnen ihrer Träger*innen bei anstrengenden Tätigkeiten. Eine weitere Hilfe sind Datenbrillen: Während des Montagevorgangs rufen die Handwerker*innen Anleitungen ab und lassen sich diese in der Brille anzeigen. So können sie sich auf ihre handwerkliche Tätigkeit konzentrieren.
Welche Arten von Unterstützung gibt es?
Während passive Exoskelette verschiedene Körperpartien wie Rücken und Oberkörper straffen und so die körpereigene Muskelkraft erhöhen, unterstützen aktive Exoskelette bei den schwersten Arbeiten. Sie sind mit Motoren versehen und erhöhen so beispielsweise die Griffstärke oder erleichtern das Heben von Badewannenelementen.
Zu der harten körperlichen Arbeit kommen neue kognitive Ansprüche hinzu, denn die Digitalisierung macht auch vor dem Badezimmer nicht halt. Egal ob Bildschirme im Spiegel oder ferngesteuerte Toilettenspülungen – SHK-Handwerker*innen müssen sich zunehmend mit digitaler Technik auseinandersetzen. Hier können Datenbrillen dabei helfen, den Arbeitsablauf bei der Montage reibungslos und fehlerfrei zu gestalten. Sie leiten komplexe Vorgänge durch Video-Tutorials an oder übertragen die eigene Arbeit live an die Meister*in und Kolleg*innen, die gerade nicht auf der Baustelle sind. So können Auszubildende und Gesell*innen in Zukunft digital unterstützt unbekannte Arbeitsschritte im Alleingang bewältigen und sich aneignen.
Beschäftigte, Unternehmen und Kund*innen profitieren
Christoph Reichhardt arbeitet regelmäßig mit Exoskeletten und ist von den Vorteilen überzeugt: „Ich schätze, dass ich ungefähr 20 Prozent schwerer heben kann, weil das Exoskelett meinen Rücken gerade zieht und meine Brust unter Spannung hält.“ Er könne jedem Betrieb empfehlen, über eine Anschaffung nachzudenken, schließlich sollte „die langfristige Gesundheit des Personals an oberster Stelle stehen.“
Auch Kilian Schramm von der Hans Schramm GmbH (München) ist überzeugt, dass Unternehmen von den Unterstützungssystemen profitieren. „Die Qualität der Arbeit wird langfristig zunehmen. Durch die technische Unterstützung treten weniger Fehler aufgrund von körperlicher oder geistiger Erschöpfung auf. Aufträge können so schneller und sorgfältiger erledigt werden, was am Ende die Arbeit kosteneffizienter macht.“ So profitieren auch die Kund*innen.
So ging das Projektteam vor
Der INQA Experimentierraum Handwerksgeselle 4.0 war in drei unterschiedliche Phasen gegliedert. Zunächst untersuchte Fachpersonal, welche bereits erhältlichen Unterstützungssysteme für das SHK-Handwerk in Frage kommen. In der Laborphase wurden die unterschiedlichen Systeme dann in einem Experimentierraum, dem HandwerkerLab, getestet Zum Abschluss kamen die Unterstützungssysteme auf echten Baustellen testweise zum Einsatz. Auch der Austausch zwischen den Herstellern der Unterstützungssysteme, den Handwerksbetrieben und der Forschung wurde durch das Projekt vorangetrieben, so Matthias Thiel.
Die Abschlussveranstaltung zum INQA-Projekt Handwerksgeselle 4.0 fand am 14. Juni 2022 in Berlin statt. Wer mehr zu den Ergebnissen des Projekts erfahren und spannende Fachvorträge zum Thema SHK-Handwerk hören möchte, kann sich hier kostenfrei infomieren.