Das nordhessische Familienunternehmen Lessing Friseure besteht bereits seit 1932. Heute führt Dennis Lessing zusammen mit seiner Frau Yvonne zwei Friseursalons mit insgesamt 8 Mitarbeiter*innen. Im Interview erzählt der Handwerksmeister aus Korbach, wie Anerkennung und Wertschätzung das Arbeitsklima in seinem Unternehmen verbesserten und welche Maßnahmen er anderen Betrieben empfiehlt.
Herr Lessing, Sie haben sich im Rahmen des Programms unternehmensWert:Mensch beraten lassen. Wie lief der Prozess ab?
Zunächst haben meine Frau und ich mit Hilfe unseres Beraters unsere eigenen Werte definiert, das heißt, wir haben erarbeitet, wofür wir als Unternehmen stehen. Anschließend haben wir unsere Mitarbeiter*innen eingebunden. Zuerst haben wir sie anonym zu ihrer Sicht der aktuellen Arbeitssituation befragt. Dann sind wir in die Gruppenarbeit eingestiegen. Gemeinsam haben wir beispielsweise unsere alte Betriebsordnung durch einfache und klare Leitlinien ersetzt, hinter denen wir alle stehen. Und wir haben an unserer Kommunikation gearbeitet und einen neuen Fokus auf die Themen Wertschätzung und Anerkennung gelegt.
Was hat sich seitdem geändert?
Wir haben vor allem unser Betriebsklima spürbar verbessert. Es gibt jetzt ein echtes „Wir-Gefühl“. Es war ein richtiges Aha-Erlebnis, als ich verstand, wie entscheidend das Betriebsklima durch die Sprache beeinflusst wird. Beides spielt eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Beschäftigten. Jetzt verzichten wir bewusst auf bestimmte Begriffe wie das Wort „müssen“. Das nimmt den Druck aus unseren täglichen Arbeitsgesprächen. Für mich als Arbeitgeber hat der Begriff Work-Life-Balance nicht nur mit dem Umfang an Freizeit zu tun, sondern auch damit, wie wohl sich mein Team am Arbeitsplatz fühlt. Jeder soll gern bei uns im Salon seine Zeit verbringen.
Was tun Sie als Führungskraft dafür, dass sich Ihre Mitarbeiter*innen wohl fühlen?
Ich habe mir einiges einfallen lassen. Ich stelle für mein Team zum Beispiel Getränke, Süßigkeiten und Obst in den Pausenraum. Das schafft eine angenehme Atmosphäre. Wenn jemand aus dem Team einen Snack oder etwas zu trinken braucht, steht es bereit. Außerdem komme ich meinen Mitarbeiter*innen bei der Urlaubsplanung oder freien Tagen entgegen und mache vieles möglich. Ich habe als Führungskraft immer ein offenes Ohr, wenn jemand unzufrieden ist, bin aufgeschlossen für Sonderwünsche und habe ehrliches Interesse an den Bedürfnissen meiner Mitarbeiter*innen. Das stärkt das Vertrauen. Kurze Zeit nach der Beratung haben wir unsere Beschäftigten außerdem mit einer „Wir-sagen-Danke-Aktion“ überrascht. Wir haben im Salon ein kleines Fest gefeiert und einen Abend lang für unser Team gearbeitet. Wir tun jetzt auch mehr für die Gesundheit unserer Beschäftigten. Wir kooperieren mit dem örtlichen Fitnessstudio und haben uns physiotherapeutisch beraten lassen.
Gibt es weitere Beispiele, wie Sie Anerkennung zeigen?
Wir laden unsere Mitarbeiter*innen regelmäßig zum Essen ein, für Teambesprechungen zum Beispiel. Manchmal gehen wir auch gemeinsam bowlen. Und nicht zuletzt: Lob und Wohlfühlen sind schön, aber auch die Bezahlung muss stimmen. Wir zahlen übertariflich, außerdem bekommt das Team 25 Prozent Provision. Wenn jemand eine besondere Tagesleistung erzielt, darf er oder sie sich ein Pflegeprodukt aussuchen. Alle diese Maßnahmen steigern die Motivation, wenn viertel vor sechs noch eine Kundin in den Salon kommt.
Wie reagieren die Mitarbeiter*innen?
Die Stimmung ist immer gut bei uns, es gibt keinen Zank oder Unstimmigkeiten. Meine Mitarbeiter*innen sind immer pünktlich und freundlich. Sie sehen gepflegt und zufrieden aus. Unser Krankenstand ist niedrig. Es läuft einfach rund bei uns. Und die drei innungsbesten Auszubildenden kamen in den vergangenen drei Jahren auch aus unserem Salon. Darauf bin ich besonders stolz.
Inwiefern kommt das positive Miteinander auch bei den Kund*innen an?
Wenn die Mitarbeiter*innen sagen: „Der Salon ist mein zweites Zuhause“, dann spüren das natürlich auch die Kund*innen und kommen gerne wieder. Wir bekommen viel Lob. Unsere Kund*innen sagen oft, sie haben das Gefühl, in guten Händen zu sein. Und wenn ihre Laune beim Gehen besser ist als beim Kommen, dann freut uns das natürlich sehr.
Wie stand es vor der Beratung um das Thema Wertschätzung?
Das war eine andere Zeit. Damals standen die Kund*innen im Mittelpunkt. Über Beschäftigte haben viele Arbeitgeber*innen gedacht: Sie bekommen ein Gehalt und dafür sollen sie Leistung bringen. Punkt. Es gab ja immer genug Arbeitskräfte. Wertschätzung hat keine besondere Rolle gespielt. Das ist heute anders, denn das Umfeld hat sich geändert: Fachkräfte fehlen, und Jugendliche für die Ausbildung zu begeistern ist auch schwieriger geworden. Wir müssen gute und qualifizierte Mitarbeiter*innen finden und es schaffen, sie auch zu binden. Das ist nicht leicht.
Was raten Sie anderen kleinen und mittleren Unternehmen?
Sie sollten die Beratungs- und Förderangebote von INQA nutzen. Diese sind passgenau und nah an unserer täglichen Arbeit. Aber vor allem bringen sie frischen Wind in den Betrieb. Unsere Mitarbeiter*innen waren begeistert und neu motiviert. Aus einem solchen Prozess ergeben sich neue Perspektiven und ein spürbar besseres Betriebsklima. Die Beratung hat dazu geführt, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen. Ein Unternehmen, das heute die Wertschätzung nicht großschreibt, hat verloren. Dem laufen die Leute weg. In der Friseurbranche wird oft versucht, mit Preisdumping neue Kund*innen zu gewinnen. In meinen Augen ist das der falsche Weg, denn schlechte Bezahlung und sinkende Qualität machen auf Dauer weder Mitarbeiter*innen noch Kund*innen glücklich. Ich kann nur dazu raten, stattdessen in die Gesundheit und die Zufriedenheit der Beschäftigten zu investieren. Die Arbeitnehmer*innen haben heute die Wahl. Wer sie halten will, muss auf sie eingehen.
Nach sieben Jahren ist das erfolgreiche Förderprogramm unternehmensWert:Mensch (uWM) Ende 2022 ausgelaufen. Mit INQA-Coaching wird 2023 ein neues Programm aufgelegt, um kleine und mittlere Unternehmen beim Wandel der Arbeitswelt zu begleiten. Im Programm sollen Betriebe gemeinsam mit den Beschäftigten Lösungen für die personalpolitischen und arbeitsorganisatorischen Herausforderungen des digitalen Wandels entwickeln.