Kompetenz 20:57 Minuten Fol­ge 8: Nach­hal­ti­ge Lie­fer­ket­ten Startseite Mediathek Podcasts
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INQA-PODCAST: TRANSKRIPT FOLGE 8

Die INQA-Arbeitswoche. Der Überblick zur Arbeitswelt in Zeiten von Corona. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Präsentiert von der Initiative Neue Qualität der Arbeit.

Anja Heyde: Corona hat uns alle ziemlich überrascht und wir haben in dieser Zeit viele wichtige Dinge gelernt. Eines davon ist: nichts liegen lassen, nichts auf die lange Bank schieben, man weiß nie, was passiert. Der wichtige Lehrsatz heißt also: Wann, wenn nicht jetzt? Wann, wenn nicht jetzt braucht es zum Beispiel ein Lieferkettengesetz? Wie komme ich darauf? Ein Thema bei INQA ist auch gute Führung. Und zu guter Führung gehört auch verantwortliches Handeln, und damit sind wir beim Thema „Lieferketten“. Ich versuche es mal mit einer kurzen Erklärung, ist nicht so einfach: Sollten es die großen Unternehmen in Deutschland nicht schaffen, freiwillig die Menschenrechte in ihren globalen Liefer- und Wertschöpfungsketten zu achten, dann wird es ein Gesetz geben, damit das endlich geschieht. – So wurde es auch im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Und um zu überprüfen, wie es um die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen steht, gab es ein Monitoring für den sogenannten Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte. Und dafür sollten Unternehmer/innen mit mindestens 500 Mitarbeitern einen Fragebogen ausfüllen. Bei der ersten Befragung – 2019 – haben von 3.300 Unternehmen gerade einmal 460 geantwortet und davon erfüllen nur knapp 20 % überhaupt die Anforderungen. Heute ist Freitag der 17.07.2020 und in dieser Woche haben das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und das Bundesentwicklungsministerium die Ergebnisse der zweiten Unternehmensbefragung ausgewertet. Der Rücklauf lag deutlich unter 50 % und das heißt: deutlich unter dem, was gefordert war. Deshalb haben beide Minister nun ein Gesetz zur Regelung der unternehmerischen Sorgfalt angekündigt und darüber möchten wir reden in unserem INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“. Mein Name ist Anja Heyde und ich sage herzlich willkommen! Und ich begrüße ganz herzlich, ich freue mich sehr, Hubertus Heil, den Bundesminister für Arbeit und Soziales, also einen der Verantwortlichen. Hubertus Heil: Schönen guten Tag, Frau Heyde!

AH: Warum ist das Gesetz – erste Frage – aus Ihrer Sicht notwendig?

HH: Na ja, zum einen geht es tatsächlich um faire Arbeitsbedingungen, um Menschenrechte im Kampf gegen Kinderarmut. Und ganz grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass wir auch den Wohlstand in unserem Land nicht dauerhaft auf der Ausbeutung von Menschen anderer Länder aufbauen können. Es geht aber auch um fairen Wettbewerb, weil: Wir haben durchaus eine ganze Menge Unternehmen, die sich engagieren, die dafür sorgen, dass zum Beispiel auch im Textilbereich, in der Zulieferkette, anständige Arbeitsbedingungen sind. Oder in der Automobilindustrie, wenn es jetzt um neue Antriebe geht, beispielsweise seltene Erden, Coltan und Ähnliches fair gefördert werden und nicht auf dem Rücken zum Beispiel von Kindern, die da ausgebeutet werden. Also es gibt eine Fülle von Gründen, darauf stärker zu achten und dafür zu sorgen, dass Menschenrechte auch gewahrt werden.

AH: Nun haben wir aber durch Corona ja eine sehr schwierige Situation für die Unternehmen, machen wir uns nichts vor. Warum muss man das Gesetz jetzt auf den Weg bringen, obwohl man weiß, dass es Stress bedeutet für die Unternehmen?

HH: Zum einen gibt es ein paar Befürchtungen, dass gerade die weltweiten Auswirkungen, die wirtschaftlichen Auswirkungen von Corona dazu führen können, dass die Schwächsten der Kette – und das sind Menschen, die in armen Ländern durchaus zu miesen Arbeitsbedingungen arbeiten – noch zunehmen werden. Deshalb gilt es auch, gegenzusteuern. Aber es ist auch nichts, was die Wirtschaft wirklich belasten wird, sondern im Gegenteil: für die Unternehmen, die sich kümmern, auch faire Wettbewerbsbedingungen schaffen. Es ist ja nicht in Ordnung, dass Unternehmen, die sich daran halten, im Wettbewerb benachteiligt sind gegenüber anderen. Und es gibt auch immer mehr Unternehmen, die danach rufen, dass wir solche Spielregeln auch einführen, auch renommierte Unternehmen in Deutschland – Nestlé beispielsweise oder auch Tchibo oder Ritter Sport, um mal ein paar zu nennen, die wir alle kennen -, sagen „Wir brauchen jetzt so ein Gesetz“.

AH: Das Lieferkettengesetz betrifft Firmen – ich habe es ja schon gesagt – mit mindestens 500 Beschäftigten. Das sind laut BMAS und Bundesentwicklungsministerium 7.280 Unternehmen mit Sitz in Deutschland. Und die werden, wenn das Gesetz kommt, in Zukunft ganz genau schauen müssen: Wer sind meine Lieferanten? Unter welchen Bedingungen wird dort gearbeitet? Gibt es Zwangs- oder Kinderarbeit, Diskriminierung, Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit, den Arbeitsschutz oder Landrechte und die Schädigung der Gesundheit und der Umwelt, Punkt, Punkt, Punkt? Wie sollen die das machen?

HH: Also es gibt ja Beispiele dafür, wie es klappt und wie es auch gelingen kann. Es geht zum einen darum, dass man ja heute schon in vielen Zulieferketten, wenn es um die Qualität von Produkten geht, sehr gut Bescheid weiß. Und wir wollen, dass das auch, was die Arbeitsbedingungen die Menschenrechte betrifft, passiert. Konkret geht es darum, dass diese Unternehmen, die ja nicht der Handwerker um die Ecke sind, sondern, wie Sie gesagt haben, größere Unternehmen, zumindest eine Risikoanalyse machen, was ihre Zulieferketten betrifft und Maßnahmen ergreifen dagegen – und das Ganze auch offen dokumentieren. Es geht um das Prinzip hinschauen und sich kümmern. Wir werden von Unternehmen nichts verlangen, was sie nicht kennen können oder nicht liefern können, also nichts Unmögliches. Aber wir wollen, dass es dieses Risikomanagement gibt, damit in der Zulieferkette alles Menschenmögliche getan wird, dass, wie gesagt, zum Beispiel Kinderarbeit vermieden wird.

AH: Wo kann man sich da Unterstützung holen? Oder wie macht man das denn – also wenn man ein Unternehmen ist? Es gibt ja sicherlich auch schon Beispiele, bei denen es funktioniert.

HH: Es gibt jetzt schon den Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“, auf die ich hinweisen will, in der darauf hingewiesen wird, welche Sorgfaltspflichten es heute schon gibt und was man an Systemen aufbauen kann, um darauf zu achten. Ich sage auch: Das schafft für Unternehmen, wenn man es macht, im Übrigen auch Rechtssicherheit. Wir sagen: Es soll Haftung geben, wenn man sich nicht kümmert, wenn es solche Risikomanagementsysteme nicht gibt. Wenn es sie gibt und doch was passiert, kann man sich auch enthaften, wenn man dann als Unternehmen alles Menschenmögliche getan hat, um solche Vorkommnisse zu vermeiden.

AH: Nun sagen die Arbeitgeber aber umgekehrt: Wenn das Gesetz kommt, dann steht man als Unternehmer mit einem Bein quasi schon im Gefängnis. Kann man denn die Unternehmer/innen tatsächlich, ich sage mal, haftbar machen künftig für die Zustände?

HH: Also zum einen widerspreche ich: Das sagen nicht die Arbeitgeber. Es gibt Verbände, die so etwas erzählen. Aber ich sage noch mal: Es gibt immer mehr Unternehmen, die sagen: Nein, wir wollen solche fairen Bedingungen auch, wir wollen auch Rechtssicherheit und Klarheit und fairen Wettbewerb. Und zum Zweiten geht es nicht um Gefängnis. Wir reden nicht über das Strafrecht, sondern wir reden über zivilrechtliche Haftung. Und die gibt es heute schon. Wir führen faire Spielregeln ein. Wir helfen Unternehmen, wir unterstützen sie, damit sie auch ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht gerecht werden können. Und ganz grundsätzlich ist: Wir sind alle Menschenrechten verpflichtet. Das gilt für den Staat, das gilt für die Gesellschaft und das gilt auch für die Wirtschaft.

AH: Sie haben ja schon einige Unternehmen angesprochen, die tatsächlich dieses Lieferkettengesetz auch wollen, also Oxfam übrigens auch noch dazu als Verband, die Gewerkschaften gehören dazu, die hinter Ihnen stehen. Aber dann habe ich echt gestaunt: auch Textilunternehmen wie kik oder wie Primark, also die auch sagen „Wir brauchen dieses Lieferkettengesetz“, um, wie Sie es gesagt haben, halt auch eine Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Wie überzeugt man dann noch den Wirtschaftsminister?

HH: Wir sind da in guten Gesprächen. Wir haben in der Regierung ja eine Geschäftsgrundlage, das ist der Koalitionsvertrag. Und in dem haben wir festgelegt, dass es das gibt, was Sie vorhin beschrieben haben, nämlich erst mal überprüfen: Wie ist die Lage? Und es gab seit 2015 einen Nationalen Aktionsplan Menschenrechte, der erst mal auf freiwillige Basis gesetzt hat mit dem Ziel, dass immer mehr sich kümmern. Und dann haben wir gesagt: Wir müssen mal überprüfen, ob das greift. Und dann hat man irgendwann festgestellt: Freiwilligkeit allein reicht nicht. Und deshalb ist jetzt der Zeitpunkt, auch zu einer Gesetzgebung zu kommen. Ich will noch mal eines hinzufügen, weil: Ich möchte es mal ein bisschen konkreter machen. Ich habe mir mit dem Entwicklungsminister im letzten Jahr mal einiges an guten und an schlimmen Beispielen vor Ort angeguckt. Wir waren in Äthiopien. Und Äthiopien ist eines der bitterärmsten Länder auf der Welt, bekanntermaßen, mit einer sehr jungen Bevölkerung, der Altersschnitt in Äthiopien ist 18 Jahre, in Deutschland ist er, das weiß ich als „Rentenminister“, ist er bei 47. Also eine junge, eine ungeduldige arme Bevölkerung. Es gibt da einen Ministerpräsidenten, Abiy Ahmed, der hat letztes Jahr den Friedensnobelpreis bekommen, der sorgt für Reformen, der will Frieden machen. Der wird aber wirtschaftlich und politisch scheitern, wenn wir nicht mithelfen, dass die Arbeitsbedingungen dort auch besser werden können. Und wir haben da Verantwortung. Es geht um ganz konkret das Thema Textil, auch das Thema Kaffee. Und wir haben in diesem Bereich gesehen, was passiert, wenn Unternehmen aus Deutschland sich kümmern um faire Bedingungen in einer Textilfabrik, in der Arbeitsschutz war, in der einigermaßen anständige Löhne waren und die Produkte übrigens nicht wahnsinnig viel teurer geworden sind. Und ich habe das Gegenteil gesehen: eine Gerberei mit wirklich widerlichen Verhältnissen, Frauen bis zum Knie in Chemikalien standen, wo Dämpfe waren, wo die Lebenserwartung nicht hoch ist. Wenn man das gesehen hat, dann muss man deutlich sagen: An Verantwortung für Menschenrechte geht kein Weg vorbei.

AH: Also interessanterweise könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Verbraucher da schon ein Stück weiter sind als einige Unternehmen - ich spreche jetzt auch nicht von allen, aber der Umsatz bei den Fairtrade-Produkten hat rund 2 Milliarden Euro betragen. Das heißt also, das ist ein Umsatzwachstum von rund 26 %. Sind die Verbraucher schon weiter als einige Unternehmen tatsächlich?

HH: Viele Unternehmen – und unsere Gesellschaft ist Gott sei Dank weiter als noch in den 80erJahren, da war Fairtrade so ein – in Westdeutschland so ein Nischenthema - da gab es dann mehr oder weniger leckeren Kaffee aus Nicaragua oder ähnlichem – und das haben ein paar gemacht. Inzwischen hat sich gesellschaftlich herumgesprochen, dass, wenn wir Globalisierung nicht fairer gestalten, auch Probleme zu uns kommen. Also wenn beispielsweise in Äthiopien Abiy Ahmed, dieser Ministerpräsident und Friedensnobelpreisträger, scheitert – und wir kennen auf dem afrikanischen Kontinent ja Länder, die ganz tief im Bürgerkrieg versunken sind, weil die sozialen Bedingungen so sind, dass es solche Auseinandersetzungen auch mit sozialen Folgen gibt -, dann führt das zum Beispiel zu Migrationsbewegungen, die uns in Europa erreichen. Also es gibt, glaube ich, in unserer Gesellschaft – das will ich sagen – ein stärkeres Gefühl als in der Vergangenheit, dass wir weltweit enger zusammen voneinander abhängig sind und nicht die Ohren, die Augen und den Mund sich zuhalten, einfach ignorieren, was um uns herum passiert. Da gibt es immer noch einige, die das tun, aber ich glaube, dass die meisten Menschen wissen, dass uns das was angeht.

AH: Wir haben jetzt über die großen Unternehmen gesprochen. Ich will noch mal so einen kleinen Schlenker machen hin zu den kleinen Unternehmen. Also so ein mögliches Lieferkettengesetz, da geht’s erst mal um die Großen. Was ist denn dann mit den kleinen und mittelständischen? Sind die dann gar nicht gefragt oder?

HH: Doch, natürlich. Es gibt aber auch schon eine Reihe von Nachhaltigkeitsberichten und ähnlichem, die man machen kann. Wir haben nur gesagt: Mit diesem Gesetz wollen wir jetzt nicht den Handwerker um die Ecke überfordern. Also die Vorstellung, dass jeder Handwerker wissen muss, wo sein Kupferkabel, das er irgendwo verlegt, herkommt, das wäre unverhältnismäßig. Sondern wir richten uns an diejenigen, die hauptsächlich auch international tätig sind, also Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten. Wir verlangen nichts Unmögliches an dieser Stelle. Und insofern ist der Begriff der Verhältnismäßigkeit einer, der mir auch sehr, sehr wichtig ist für Unternehmen, weil jetzt natürlich interessierte Kreise, die gegen dieses Gesetz sind, mit den größten Horrorgeschichten versuchen, kleine, mittelständische Unternehmen zu mobilisieren, die jetzt von diesem Gesetz so nicht betroffen sein werden.

AH: Wen man als kleines, mittelständisches Unternehmen sagt „Ich möchte aber gerne auch schon, ich sage mal, meine Lieferkette offenmachen, offenlegen“, wie kann man das machen, welche Möglichkeiten hat man da?

HH: Ich mache mal einen konkreten Hinweis: Bitte mal auf die Homepage des BMAS gucken. Da gibt es einen Link zum Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Da gibt es die Möglichkeit, sich beraten zu lassen, um zum Beispiel die Risiken zu kennen. Und wie gesagt: Viele Mittelständler, so produzierende Unternehmen, die im Ausland schon vernetzt sind, kennen solche Lieferkettensystem sehr, sehr gut. Wenn es um die Produktsicherheit geht, weil man irgendwelche Normen einhalten muss, gucken ja welche bis auf, ich sage jetzt mal, den Mikrometer auf irgendwelche Größen. Also so muss man sich das auch vorstellen: dass wir solche Systeme entwickeln. Es gibt inzwischen auch Nachhaltigkeitssoftware beispielsweise, die angeboten wird, um so ein Monitoring auch zu machen. Also es geht jetzt nicht darum, wie gesagt, dass das alles ein Riesenaufwand sein muss. Es geht auch um konkrete Hinweise, was bestimmte Regionen betrifft und was bestimmte Arbeitsverhältnisse und Erkenntnisse betrifft. All das ist inzwischen digital verfügbar – nähere Informationen, wie gesagt, auf unserer Homepage.

AH: Gut. Jetzt gibt es die Idee oder es gibt die Vorlage, es gibt sicherlich auch schon einen Plan, wie man dieses Lieferkettengesetz jetzt tatsächlich umsetzt, oder nicht?

HH: Ja, klar. Wir wollen jetzt im Sommer erst mal klären in Eckpunkten, wie das Gesetz ausgestaltet wird. Dazu haben der Entwicklungsminister und ich klare Vorstellungen, die stimmen wir jetzt mit den anderen Ministerien ab. Mein Ziel ist, dass wir in der zweiten Augusthälfte dazu Eckpunkte im Bundeskabinett beschließen, und dann treten wir in die Gesetzgebung ein. Das heißt, wir werden einen Gesetzentwurf vorlegen im Herbst. Dann geht es in den Bundestag, dann wird es beschlossen. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass es, damit die Wirtschaft sich vernünftigerweise darauf einstellen kann, auch Übergangsphasen gibt. Man muss ja auch eine Zeit haben, solche Systeme aufzubauen. Wir wollen nicht Unternehmen überfordern oder mit Bürokratie überziehen, sondern das tun, was notwendig ist, um Unternehmen zu unterstützen, sich um das Thema Menschenrechte zu kümmern.

AH: Deutschland hat ja die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Wenn das Lieferkettengesetz kommt, so wie Sie es sich wünschen, noch in dieser Legislaturperiode, ist das dann, ich sage mal, quasi die Blaupause für ein EU-weites Gesetz?

HH: In jedem Fall streben wir eine europäische Regelung an. Das ist natürlich das Beste, wenn einer der stärksten und größten Wirtschaftsräume, nämlich die Europäische Union klare gemeinsame Standards irgendwann hat, um dafür zu sorgen, dass wir mit der Power der Unternehmen der Nachfrage, die wir haben, auch in globalen Zulieferketten was für Menschenrechte tun können und für Arbeitssicherheit, für bessere Bedingungen und Arbeitsschutz im Kampf gegen Kinderarmut. Aber umgekehrt wird kein Schuh draus, zu sagen: Wir warten mal irgendwann auf eine europäische Regelung, damit wir jetzt keine in Deutschland machen.

AH: Das könnte erfahrungsgemäß dauern.

HH: Das könnte dauern. - Also wir arbeiten jetzt mit Hochdruck daran. Und wenn Deutschland jetzt in der Ratspräsidentschaft selbst auch vorangeht und zeigt als eine starke Wirtschaftsnation in Europa, wie man sowas auch machen kann, wird das sicherlich in Europa helfen, auch zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Ich muss allerdings fairerweise sagen: Es gibt auch schon andere Länder in Europa, die ein Stück weiter sind. Die Niederlande haben beispielsweise ein Gesetz gegen Sklaven- und Kinderarbeit. Das Vereinigte Königreich gehört jetzt nicht mehr zur Europäischen Union, hat aber auch ein Gesetz, Frankreich hat eines. Es gibt auch schon europäische Regelungen zum Beispiel für das Thema Konfliktmineralien. Also es gibt schon Ansätze und Blaupausen und auch die zeigen, wie es geht. Mein Ziel ist, dass wir das jetzt in diesem halben Jahr auf der europäischen Tagesordnung haben. Ich freue mich, dass die Europäische Kommission auch angekündigt hat, dazu im nächsten Jahr einen Vorschlag zu machen. Und wir werden das in Europa dann voranbringen, wenn wir in Deutschland auch mutig sind und jetzt unsere nationalen Hausaufgaben machen.

AH: Und Sie kriegen das hier auf jeden Fall noch durch in dieser Legislatur?

HH: Absolute Gewissheit hat man nicht, aber ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass es viel Unterstützung gibt, nicht nur aus der Zivilgesellschaft von Menschenrechtsorganisation, von NGOs, aus den Kirchen, aus den Gewerkschaften, sondern, wie gesagt, vor allen Dingen auch aus der Wirtschaft. Und ich habe mich auch gefreut, dass es Bewegung beim Koalitionspartner gibt. Das hat sich noch nicht ganz rumgesprochen, aber ich habe gelesen, dass die CDU einen Parteitagsbeschluss hat für ein Lieferkettengesetz. Also was sollte uns jetzt noch aufhalten?

AH: Ich bin gespannt. – So, der INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“ ist – ich wiederhole das immer gerne – eine Art Fenster ins Ministerium. Vielen ist offenbar nicht ganz klar, wie so ein Ministerium arbeitet, wie schwer so Gesetzgebungsprozesse sind und was es bedeutet, in so einer Krise zu regieren. Ich würde gern - statt so einem Ausblick in die kommende Woche – in dieser Woche gerne fragen, wie Sie denn diese turbulente Corona-Zeit erlebt haben – also so ein bisschen zurückblicken - und was sich aus Ihrer Sicht für die Arbeit eines Ministers und eines Ministeriums geändert hat.

HH: Also uns war nach relativ kurzer Zeit, als es losging, vor jetzt dreieinhalb, vier Monaten, klar: Das hier ist die größte politische Herausforderung unserer Generation. Also erst mal die größte gesundheitliche Herausforderung und dann auch die größte wirtschaftliche und soziale. Ich mache es mal an einem Bild: Mir kommt das Ganze jetzt im Nachhinein vor wie so eine Sturmflut. Also da kommt eine große Welle. Und das Erste, was man dann im Krisenmanagement, wenn die Welle über den Deich ist, tun muss, ist Leben zu retten, Existenzen zu retten, also in diesem Fall tatsächlich die Gesundheit von Menschen zu schützen, auch wirtschaftliche Existenzen zu sichern. Dann zieht sich irgendwann die Sturmflut zurück – hoffentlich – und es gibt hoffentlich keine zweite Welle. Dann sieht man den wirtschaftlichen Schaden, dann muss man wieder aufbauen. Und dann wird eine dritte Phase kommen, in der man über Konsequenzen nachdenken muss: Was müssen wir tun, damit das so nicht passiert? Wo war der Damm nicht hoch genug? Also um das in einem Bild zu sagen: Wir haben in den ersten drei Monaten vor allen Dingen die akute Phase gehabt, der Pandemie, und ich glaube, dass bei allen Problemen wir gesundheitlich und auch wirtschaftspolitisch – jedenfalls im internationalen Vergleich – uns in Deutschland relativ wacker geschlagen haben. Wir sehen aber auch, wie in dem berühmten Brennglas, was in diesem Land vorher schon gut war und funktioniert in solchen Zeiten, zum Beispiel wahnsinnig vernünftige Menschen, die sich an Regeln halten und sehr diszipliniert und eingeschränkt haben, durchaus ein starker Sozialstaat, der mit sowas wie Kurzarbeit Brücken bauen konnte, um Beschäftigung zu sichern. Aber auch Defizite - wie zum Beispiel in der Fleischindustrie -, die vorher schon da waren, die jetzt aber, wie gesagt, hell ausgeleuchtet sind. Oder die Situation von Menschen, die als systemrelevant eingestuft wurden auf einmal, die man früher nicht so wahrgenommen hat, weil man sie jeden Tag gesehen hat, aber nicht wahrgenommen hat, die nie im Homeoffice waren, aber als Kassiererin gearbeitet haben, in der Lagerlogistik oder in der Pflege oder im Hygienebereich, bei denen man feststellen muss: Alle freuen sich, dass diese Menschen trotz ihrer gesundheitlichen Risiken am Arbeitsplatz sich eingesetzt haben, aber die Bezahlung ist nicht in Ordnung. Also es war eine intensive Zeit. Und um es hier fürs Ministerium noch mal zu sagen: Unsere Leute haben wirklich richtig heftig gearbeitet, auch die Organisationen, die wir in der Fläche haben, wie die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter haben unglaublich viel an den Start gebracht, um Menschen zu helfen, um zum Beispiel Unternehmen und Beschäftigten mit Kurzarbeit erst mal eine Brücke zu bauen. Aber ich bin jetzt auf die letzten Wochen auf die Kolleginnen und Kollegen, die sich da eingesetzt haben, hier im Ministerium, und in den Behörden richtig stolz, weil man übrigens auch viele Vorurteile widerlegt sieht, die man so über öffentliche Verwaltung haben mag. Und auch unsere Demokratie hat bewiesen, dass wir im Notfall schnell handeln können.

AH: Und geht Hubertus Heil jetzt in eine Sommerpause oder gibt’s die nicht, fällt die aus?

HH: Doch, ich mache auch ein paar Tage Urlaub mit meiner Familie. Das braucht jeder, glaube ich, um auch Kraft zu tanken. Und wir müssen ja auch ganz offen sagen: Wir werden mit den Folgen dieser Krise noch ganz lange zu tun haben. Wir haben durchaus nach wie vor eine Wirtschaftskrise tiefen Ausmaßes. Und es wird im Herbst auch noch mal ziemlich heftig werden, befürchte ich, am Arbeitsmarkt. Wir haben aber auch Instrumente, uns gegen die Folgen zu wehren. Und wie gesagt: Im internationalen Vergleich, zum Beispiel zu den USA, wo in den drei Monaten 47 Millionen Jobs weggefallen sind, schlagen wir uns ganz wacker. Und wir haben auch das Konjunkturprogramm auf den Weg gebracht, um jetzt gerade Wirtschaft wieder anzukurbeln. Also: Ich werde ein paar Tage durchschnaufen mit meinen Kindern und meiner Frau und dann geht’s weiter. Ich komme einmal zwischendurch im Urlaub zurück, ich habe noch ein Gesetz machen müssen, um die Verhältnisse in der Fleischindustrie zu ordnen, aber das ist es auch wert, mal kurz aus dem Urlaub zurückzukommen.

AH: So läuft das also. Vielen Dank, Hubertus Heil an dieser Stelle, dem Bundesminister für Arbeit und Soziales, für diesen persönlichen Blick auch ins Ministerium.

HH: Herzlichen Dank.

AH: Das war unser INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“ für heute. Nächsten Freitag sind wir wieder da, dann mit Staatssekretär Björn Böhning und dem Thema „psychische Gesundheit“, denn das beschäftigt auch viele Unternehmen im Moment sehr viel mehr als erwartet.

Warum ist die Einführung eines Lieferkettengesetzes auch in Zeiten von Corona notwendig? Wo können sich Unternehmen Unterstützung holen? Und warum ist das nachhaltige Lieferkettenmanagement auch für kleine und mittlere Unternehmen relevant? Diese und weitere Themen besprechen wir in der achten Folge des INQA-Podcasts mit dem Bundesminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil.

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