Viele Unternehmen ändern in der Corona-Krise ihre Arbeitsweise. Welche Maßnahmen sind derzeit besonders notwendig oder beliebt?
Eine disruptive Veränderung in diesem Ausmaß hat es bisher noch nie gegeben. Mit der Corona-Krise sind wir radikal und kurzfristig in ganz neue Arbeits- und Umgangsformen getrieben worden. Die meisten der befragten Unternehmen nutzen in diesen Zeiten vor allem virtuelle Kommunikationsplattformen wie Skype oder Zoom. Dabei funktioniert die virtuelle Zusammenarbeit natürlich oftmals besser, wenn die Belegschaft schon vorher häufig im Homeoffice tätig war. Für einen reibungslosen Ablauf muss dafür die Infrastruktur stimmen – und zwar nicht nur in Sachen Endgeräte, sondern auch bezüglich der Systemkapazitäten. Viele Betriebe gehen derzeit deutlich kreativer mit der Gestaltung von Arbeitszeiten um. Eine Lockerung der Arbeitszeitengesetze in einem definierten Rahmen könnte hier den Handlungsspielraum noch erweitern. Andere überbrücken gerade kritische Personalengpässe und holen dafür in Rente gegangene oder anders abgewanderte Beschäftigte wieder zurück. Im Zuge der Krise stehen viele Betriebe mit dem Rücken zur Wand. Sie nutzen nun in der Not Arbeitsformen, die sie vorher mitunter abgelehnt haben. Und machen jetzt positive Erfahrung damit. Das verändert das Mindset. Und vielleicht sind ja in Zukunft bestimmte Mischformen sinnvoll.
Werden die staatlichen Angebote von Betrieben als hilfreich eingeschätzt?
Ja, die Umfrage zeigt: 98,8 Prozent der Befragten finden es wichtig, dass der Staat verschiedene Unterstützungsleistungen anbietet. Dabei schätzen Betriebe vor allem die unbürokratische und schnelle Antragstellung. Aber auch Kurzarbeit, staatliche Liquiditätshilfen und Hilfskredite sind für viele relevant. Nicht zuletzt erhoffen sich Unternehmen eine Steuerentlastung: angefangen von Stundung über die Herabsetzung von Vorauszahlungen bis hin zu gewissen Steuererleichterungen in der Zukunft. Das schnelle und konsequente Agieren des Staates mit den entsprechenden Maßnahmen kommt jedenfalls sehr gut an! Zudem ist auch eine gewisse Haltung zu beobachten: Nicht nur der Betrieb muss überleben, sondern vor allem die Bevölkerung muss gesund bleiben. Denn das menschliche Leben hat am Ende den höchsten Stellenwert.
Gibt es Unternehmen, die mit einem besonderem Augenmaß unterstützt werden müssen?
Jedem Betrieb in Notlage sollte derzeit geholfen werden. Wir müssen aber vor allem auch die unterstützen, die in der Vergangenheit gut gewirtschaftet und in diesem Zuge hohes Kapital in Experimentierräume und die Entwicklung von Innovationen gesteckt haben. Diese Unternehmen haben sich getraut, neue Wege zu probieren und bereits viel Geld und Manpower investiert. Viele von ihnen wurden von der Krise überrascht – und zwar bevor die Ergebnisse sich auszahlen konnten. Hier staatliche Hilfe zu leisten, hat somit auch eine gewisse Signalwirkung. Denn der eingeschlagene Weg, neue Möglichkeiten zu testen, ist richtig und wichtig und darf Betrieben nun nicht zum Verhängnis werden. Genau aus diesen Experimenten entstehen Ergebnisse, mit denen zukünftig Arbeitsweisen neu und besser gestaltet werden können.
Wie beeinflusst die Corona-Krise das Verhältnis zu Beschäftigten bzw. der Beschäftigten untereinander?
Mobiles Arbeiten verändert die Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit. Starke Hierarchien werden aufgelöst. Jetzt gilt es, Arbeitspakete und Zielvereinbarungen klar zu definieren. In diesem Zuge müssen Beschäftigte deutlich mehr Verantwortung und Entscheidungskompetenz übernehmen. Das wiederum stärkt und motiviert sie. Aber auch die Art und Weise, wie wir miteinander kommunizieren, verändert sich. Angesichts der besonderen Umstände und um Missverständnisse zu vermeiden, gehen viele Beschäftigte gerade freundlicher und wertschätzender miteinander um. Sitzt man im Meeting an einem Tisch zusammen, ist der Ton natürlich persönlicher. In der Virtualität dagegen aber oftmals höflicher. Das beeinflusst ein Team positiv. Auch Führungskräfte geben an, umsichtiger zu agieren und viel offener für kreative Lösungen zu sein. Die Studienergebnisse zeigen, durch die radikalen Veränderungen ist der Zusammenhalt in den Teams, aber auch innerhalb der Unternehmen gewachsen. Zusammenfassend kann man also sagen, die Corona-Krise beeinflusst drei wesentliche Faktoren: die Arbeitsorganisation, das Kommunikationsverhalten und den Zusammenhalt.
Die Corona-Krise wird sehr wahrscheinlich langanhaltende Folgen haben, welche Ängste haben Unternehmen?
Die Zahlen belegen: Viele Unternehmen haben derzeit am meisten Angst vor einer Insolvenz. Aber auch mangelnde Liquidität, eine schlechte Auftragslage sowie ein drohender Abbau der Stammbelegschaft und der Verlust wertvoller Mitarbeitender zählen zu den Sorgen vieler Betriebe. Vor dem Hintergrund des Fachkräfteengpasses herrscht derzeit noch viel Besonnenheit und es werden zunächst vor allem weiche Maßnahmen ergriffen. Dennoch wird die Zeitarbeitsbranche sicher als erstes vom Thema Personalabbau betroffen sein. Manche der Befragten befürchten aber auch langfristige Folgen und haben hier meist die große Weltwirtschaftskrise von 1929 im Kopf. Klar ist jedoch: Die Szenerie, bei der aus einer Krise ökonomische Folgen entstehen, die schwerwiegende gesellschaftliche und politische Konsequenzen hat, darf sich nicht wiederholen. Umso wichtiger ist es, jetzt politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich ausgewogen zu handeln: und zwar global, aber auch auf europäischer und regionaler Ebene.
Arbeitsformen, die vor wenigen Monaten noch Ausnahmen waren, sind heute weit verbreitet. Liegt in der Krise auch eine Chance für Veränderungen der (Zusammen-)Arbeit?
Das würde ich mir wünschen. Viele Dinge, die schon jahrelang diskutiert wurden, bewegen sich jetzt. Und die Umfrage belegt, auch Betriebe haben in der Krise Chancen erkannt. Viele Unternehmen testen neue Arbeitsmodelle und Organisationsformen, treiben die digitale Transformation vehement voran und optimieren in kürzester Zeit bestehende Strukturen und Abläufe. Zudem wird Lernen virtualisiert. Alles Themen, die wir schon lange auf der Agenda haben. Viele Unternehmen waren bislang veränderungsresistent. Doch nun sind sie durch die Krise gezwungen, zu handeln. Und tun dies gerade unglaublich schnell, radikal und diszipliniert. Da das Alte in Corona-Zeiten nicht funktioniert, wird gemeinsam auf anderen Wegen vorangeschritten: mit neuen Arbeitsformen und in einem radikal veränderten Arbeitsleben. In Kombination mit der beschleunigten Digitalisierung kann uns das in Zukunft weit voranbringen.
Welche Aufgaben und Herausforderungen liegen Ihrer Meinung nach jetzt vor uns?
In der Studie wird klar, was Betrieben aktuell wichtig ist: ob beim Thema Arbeitszeit/-ort, bei der Unterstützung von Beschäftigten oder in Sachen Führung, Kommunikation und Personalabbau. Hier können Informationsplattformen wie INQA unterstützen. Was ist wichtig für Homeoffice? Wie funktioniert Future Learning? Spezielle Toolboxen sind gute Handlungshilfen. Die Corona-Krise beschleunigt die digitale Transformation und zwar in allen Arbeitsbereichen – auch denen der Basisarbeiter*innen. Gerade diese Menschen, die im Beruf oft wenig Wertschätzung erhalten haben, sind aktuell die tragenden Säulen der Gesellschaft. Deren Zukunft muss uns daher ebenso beschäftigen, wie eine vollautomatisierte Arbeitswelt. Zudem gibt es viele Menschen mit qualifizierter Berufsausbildung, die heute in komplexen, aber routinierten Arbeitszusammenhängen tätig sind. Deren Job erledigt vielleicht schon bald ein leistungsfähiger Algorithmus. Auch dies sind Themen, die man zukünftig im Blick haben muss. Gerade entwickeln sich in vielen Unternehmen aus der Not heraus neue Organisationsformen und Arbeitskulturen. Diese sollten wir, wenn die Krise überwunden ist, beibehalten und ausbauen. Dann kann eine neue Qualität der Arbeit Realität werden.
Frau Rump, besten Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen sowie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE). Darüber hinaus ist sie derzeit eine von vier INQA-Botschafter*innen und betreut die aktuelle Studie „Personalpolitik in der Corona-Krise“.