Frau Rump, vor welchen wirtschaftlichen Herausforderungen stehen deutsche Unternehmen im Zuge der Pandemie?
Die Pandemie hat zu einem weltweiten Lockdown geführt. Das wirtschaftliche Agieren kam in vielen Ländern zum Stillstand, grenzüberschreitende Prozesse sowie Liefer- und Wertschöpfungsketten wurden unterbrochen. Auch wenn der Lockdown in Deutschland weniger rigide als in anderen Ländern war, sind auch deutsche Unternehmen betroffen. Um die Folgen des Lockdowns abzudämpfen, hat der deutsche Staat weitreichende Maßnahmen ergriffen, was zu großen Ausgaben auf der volkswirtschaftlichen Ebene führte. Das heißt, dass der deutsche Staat in Zukunft ganz anders mit den finanziellen Ressourcen umgehen wird. Volkswirtschaftlich gesehen ist das eine große Herausforderung.
Die Pandemie hat zudem das Verhalten der Märkte und der Kund*innen verändert. Die Menschen haben weniger Geld, viele sind von Arbeitslosigkeit bedroht und befinden sich in Kurzarbeit. Viele wollen lieber sparen, als Geld ausgeben, was logischerweise Konsequenzen für Unternehmen hat. Hier ist vor allem die Konsumgüterbranche betroffen. In Zukunft werden viele Unternehmen deshalb weniger Geld zur Verfügung haben und sich neu ausrichten müssen.
In welche Richtung bewegen sich die Unternehmen aufgrund der Pandemie? Werden neue Geschäftsmodelle eingeführt?
Die voranschreitende Digitalisierung wirkt sich sowohl auf die Prozesse als auch auf die Geschäftsmodelle in den Unternehmen aus. Viele Branchen waren schon vor Corona im Strukturwandel, und die Pandemie fungiert lediglich als Brandbeschleuniger, der manche Prozesse vorantreibt. Der Einzelhandel ist hier ein gutes Beispiel. Während des Lockdowns waren wir gezwungen, verstärkt digital einzukaufen und stellten fest, dass es durchaus eine Alternative zum stationären Handel ist. Viele Geschäfte müssen jetzt ihr Geschäftsmodell anpassen und z. B. einen Online-Shop etablieren und den Kund*innen ein emotionales Kauferlebnis bieten. Gleichzeitig ist festzustellen, dass nicht wenige Kund*innen ihr Kaufverhalten überdenken, den Konsum einschränken und nachhaltiger agieren.
Die digitale Transformation hat zudem Einfluss auf die Produktionsweise. Die Pandemie hat die weltweiten Wert- und Lieferketten auseinandergerissen und das Offshoring-Modell in Frage gestellt. Viele fragen sich jetzt: Ist es tatsächlich sinnvoll, die Produktion ins Ausland auszulagern? Provokant formuliert: Befinden wir uns in der nächsten Phase der Globalisierung, in der das Offshoring durch das sogenannte Reshoring ersetzt wird? Aufgrund der technischen Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung sind wir mehr und mehr dazu in der Lage. Auch das kann sich ganz erheblich auf die Geschäftsmodelle auswirken.
Ist es kritisch zu bewerten, wenn Unternehmen derzeit zu zentralen Entscheidungsstrukturen zurückkehren?
Wir befinden uns gerade in einer Krisensituation. Viele Unternehmen neigen dazu, die Entscheidungsbefugnisse und Verantwortlichkeiten auf eine kleine Gruppe zu fokussieren, nach dem Motto: der starke Mann oder die starke Frau führen uns aus der Krise. Aufgrund der außerordentlichen Situation müssen klare Entscheidungen sehr schnell getroffen werden. In solchen Fällen kann die Zentralisierung der Entscheidungsstrukturen sinnvoll erscheinen.
Ich würde diese Entwicklung jedoch mit einem Fragezeichen versehen. Wir leben nämlich in einer sehr komplexen Zeit. Die Herausforderungen, die mit Digitalisierung, Globalisierung, Demografie, dem gesellschaftlichen Wertewandel und der Klimakrise einhergehen, sind immer noch da, und die Pandemie hat manche Veränderungsprozesse beschleunigt. Kann eine kleine Gruppe diese komplexen Fragestellungen beantworten und Lösungen finden? Ich glaube eher, dass wir eine Vielfalt an Personen und Perspektiven brauchen, um die Komplexität zu analysieren und daraus eine passende Strategie abzuleiten. Diversity sowie die kollektive Intelligenz der Belegschaft werden gebraucht, um die Herausforderungen während und nach der Pandemie zu bewältigen.
In der Krise müssen Entscheidungen schnell fallen. Lässt sich gutes Krisenmanagement mit Diversity vereinbaren?
Auf jeden Fall. Man kann z. B. mit agilen Teams arbeiten. Agile Arbeitsformen eignen sich besonders gut dafür, eine Innovation oder neue Lösung zu generieren. Mitglieder eines agilen Teams arbeiten zusammen, um gemeinsam ein bestimmtes Ziel zu erreichen, oft unter Zeitdruck. Agile Teams organisieren und moderieren sich selbst und können in einem ambitionierten Zeitfenster eine Lösung produzieren. Der nächste Schritt ist ebenfalls sehr wichtig: Das Ergebnis dieser Arbeit sollte nämlich in die Entscheidungsstruktur des Unternehmens hineingespiegelt werden. Es gibt hier zwei Varianten: Entweder verfügt das agile Team selbst über die Entscheidungsbefugnis, oder diese Gruppe ist mit der Entscheidungsebene verknüpft. Auf diese Weise wird die kollektive Intelligenz der Belegschaft genutzt, die ganz zentral für den Umgang mit den Folgen der Pandemie sein wird. Leider sehe ich im Moment diese kollektive Intelligenz nicht voll ausgeschöpft.
Auf welchen Daten basieren Ihre Beobachtungen?
Seit Anfang der Corona-Pandemie führt das Institut für Beschäftigung und Employability Befragungen in der deutschen Wirtschaft durch. Ende März wurde die Studie „Personalpolitik in der Corona-Krise“ veröffentlicht. Seitdem machen wir regelmäßige Unternehmens-Surveys. Wir führen Interviews und Befragungen zu verschiedenen Themen durch, wie z. B. zur digitalen Transformation, mobilem Arbeiten, zur sogenannten Zoom-Fatigue oder zu agilen Organisations- und Arbeitsformen in Krisenzeiten. Wir verfügen damit über eine große quantitative und qualitative Datenbasis.
Werden neue Arbeitsmodelle, die Sie in Ihrer Studie vom März 2020 beschreiben, auch nach Corona beibehalten?
Solange es keine Impfung gibt, wird sich die Situation nicht grundsätzlich ändern. Und die Zeit, die wir in den neuen Arbeitswelten verbracht haben, kann nicht mehr ausgeblendet werden. Die Pandemie hat gezeigt, dass mobiles Arbeiten möglich ist. Die Produktivitätszahlen sind nicht eingebrochen. Es gibt also gar keinen Grund, dieses Arbeitsmodell als Alternative in Frage zu stellen.
Ich plädiere dafür, dass Unternehmen gesunde Mischformen einführen. Es ist wichtig, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: einerseits die Flexibilität und Individualisierung des Homeoffice und der mobilen Arbeit und andererseits die Vorteile, die der Büroalltag mit sich bringt. Gemeinsame Zeit vor Ort ist wichtig, um ein „Wir-Gefühl“ im Unternehmen zu entwickeln. Die Kommunikation über virtuelle Plattformen ist sehr schnell und effizient, aber wenn das Gespräch vorbei ist, ist es vorbei. Es gibt keine Zeit für Small-Talk beim Kaffee. Da geht etwas Wichtiges verloren, was sich auch auf das Teamgefühl auswirken kann. Die meisten Menschen brauchen persönliche Nähe und können nicht die ganze Zeit alleine sein.
Was würden Sie Führungskräften raten, die aktuell dabei sind, die nächsten Monate zu planen?
- Nutzen Sie die kollektive Intelligenz Ihrer Belegschaft.
- Denken Sie out-of-the-box und nutzen Sie die aktuelle Situation, um Innovationen einzuführen. Die Widerstände sind jetzt sehr gering!
- Investieren sie in Ihr Personal. Kompetente und motivierte Leute sind Ihr Hauptrohstoff!
- Entwickeln Sie eine Strategie für den zukünftigen Umgang mit Fachkräfteengpässen. In der Zeit nach Corona wird der demografiebedingte Arbeitskräftemangel eine Rolle spielen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Rump.
Prof. Dr. Jutta Rump ist Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Personalmanagement und Organisationsentwicklung an der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen sowie Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE). Darüber hinaus ist sie derzeit eine von vier INQA-Botschafter*innen und betreut die aktuelle Studie „Personalpolitik in der Corona-Krise“.