Als der Kulturwandel begann, geschah im hessischen Familienunternehmen Hildebrand Bau etwas Ungewöhnliches: Einen ganzen Tag lang fielen rund ein Dutzend der Teammitglieder aus, viele der Baustellen liefen auf Sparflamme. Aus gutem Grund: Die Belegschaft sprach und diskutierte über den Arbeitsalltag und seine Bedingungen. Egal ob Betonbauer*in, Maurer*in, Bauingenieur*in, Büromitarbeiter*in oder Auszubildende*r: Alle konnten sich gleichermaßen einbringen. Mit dabei war auch Frank Hildebrand, Geschäftsführer in fünfter Generation.
Das Ergebnis des Zusammenkommens waren konkrete Ziele und Wünsche des gesamten Teams: zufriedenere Mitarbeiter*innen, klare Zuständigkeiten, optimierte Prozesse und ein besserer Außenauftritt des gesamten Unternehmens. „Das Team hat die Chance genutzt, um unangenehmere Themen anzusprechen, die es zuvor vermieden hatte“, erinnert er sich. „Es war ein sehr offener Dialog auf Augenhöhe.“ Der Workshop fand im Rahmen des INQA-Prozesses Kulturwandel statt.
Neue Strukturen für ein traditionsreiches Unternehmen
Hildebrand Bau hat in der Region Tradition. Bereits im Jahr 1860 gründete die Familie das Unternehmen, das heute schwerpunktmäßig Hoch- und Tiefbau für Gewerbekunden sowie schlüsselfertiges Bauen für Privatkunden anbietet und als Bauträger für diese tätig ist. „Die Baubranche beherrschen wir mit links, wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten eine Expertise aufgebaut“, sagt der Geschäftsführer. „Als Handwerker habe ich personalpolitische Themen und die Unternehmenskultur bisher allerdings stiefmütterlich behandelt.“ Allerdings hat das Handwerk und insbesondere die Baubranche stark mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Auch sei es zunehmend schwerer, qualifizierte Beschäftigte langfristig zu halten, sagt Hildebrand. „Deshalb ist es heute wichtiger denn je, sich gut um seine Mitarbeiter*innen zu kümmern.“
Mitarbeiter*innen-Befragungen und -Gespräche, Workshops, Umstrukturierungen: Es passierte viel. Nachdem ein Projektteam die konkreten Ziele herausgearbeitet hatte, ging es an die Umsetzung. Um Klarheit zu schaffen, verfassten das Team zum Beispiel für jede Stelle eine Stellenbeschreibung und verschriftlichten, wer für welchen Bereich zuständig ist. „Das Feedback war, dass eine gewisse Organisationsstruktur fehlt“, erinnert sich Hildebrand. Auch wünschten sich die Mitarbeitenden einen besseren Wissenstransfer sowie eine transparentere Organisation, mit der Beschäftigte teamübergreifend mehr lernen konnten. „Wir haben sichergestellt, dass nicht nur ein*e Mitarbeiter*in sich im Gebiet auskennt, sondern mindestens zwei“, sagt Hildebrand. Fällt seitdem jemand aus, sind Vertretungen deutlich geklärt – was Mitarbeiter*innen langfristig entlastet.
Auch das Thema Gesundheit stand auf dem Kulturwandel-Programm des Bauunternehmens. So prüfte das Projektteam die Arbeitsplätze, um sie ergonomisch besser auszustatten – beispielsweise mit individuell anpassbaren Schreibtischstühlen. Darüber hinaus wurden Zuschüsse zu den Fitnessstudio-Gebühren sowie eine Ideenbox für weitere Anregungen zu diesem Thema eingeführt. „Der Prozess hat mir gezeigt, was auch wir als kleines Handwerksunternehmen alles ermöglichen können, um Mitarbeiter*innen langfristig zufriedener zu machen“, sagt Hildebrand.
Der Kulturwandel geht weiter
Der Aufwand hat sich gelohnt. „Alleine hätte ich mich nicht getraut, solche Veränderungen anzustoßen“, ist sich der Geschäftsführer sicher. „Durch die Tipps seitens INQA weiß ich nun, wie ich mein Team wertschätzend führen und auf welche Dinge ich im Berufsalltag achten muss.“ Vieles vom Gelernten möchte er als Führungskraft in Zukunft weiter erfolgreich im Berufsalltag integrieren, was manchmal schwerer als gedacht sei, gibt er zu. Doch Hildebrand weiß: Nur, wenn er und seine Mitarbeitenden Unternehmenskultur aktiv mitdenken, kann sein Betrieb die neuen Herausforderungen und den Kulturwandel nachhaltig meistern. Und das sei ihm wichtig, auch, weil seine Kinder das Unternehmen in der sechsten Generation übernehmen möchten.