Welchen Einfluss hat das Kurzarbeitergeld auf den Arbeitsmarkt in Zeiten von Corona? Wie können kleine und mittlere Unternehmen in der jetzigen Situation unterstützt werden? Vor welchen Herausforderungen stehen Unternehmen und junge Menschen bei der Ausbildung? Diese und weitere Themen besprechen wir in der dritten Folge des INQA-Podcasts mit Staatssekretärin Leonie Gebers im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.
INQA-PODCAST: TRANSKRIPT FOLGE 3
Die INQA-Arbeitswoche. Der Überblick zur Arbeitswelt in Zeiten von Corona. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Präsentiert von der Initiative Neue Qualität der Arbeit.
Anja Heyde: 130 Milliarden Euro, das ist die Summe, die gerade von der Bundesregierung zu einem Konjunkturpaket geschnürt wurde, zusätzlich zu den bisherigen Geldern, die in Soforthilfen oder die Kurzarbeit geflossen sind. Das ist verdammt viel Geld und das wirft jede Menge Fragen auf. Die zwei wichtigsten, erstens: Wird es wenigstens an den richtigen Stellen ausgegeben – sprich: nachhaltig? Und zweitens: Wer zahlt das eigentlich zurück? Irgendwie wir alle, klar, aber die junge Generation ein bisschen länger und dann hofft man natürlich, dass die wenigstens auch was davon haben. Im Paket sind zum Beispiel Prämien vorgesehen für Unternehmen, die Ausbildungsplätze erhalten bzw. neue fördern. Aber geht das? Wie soll man denn noch ausbilden, wenn für einen selbst schon kein Geld mehr da ist? Unser Thema im INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“, mein Name ist Anja Heyde, und ich freue mich, dass Sie wieder mit dabei sind. Und bei mir ist Leonie Gebers, sie ist Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Wir haben, Frau Gebers, bisher hier im Podcast zum Thema Arbeitsschutz gesprochen mit dem Bundesminister und über Homeoffice mit Björn Böhning. Und Sie müssen jetzt über die Arbeitsmarktsituation und Auszubildende ohne Perspektive sprechen. Möglicherweise wird das hier keine ganz so locker-flockige Debatte wie die letzten beiden.
Leonie Gebers: Ja, das kann sein. Es sind aber auch sehr, sehr ernste Zeiten, in denen wir im Moment leben. Die Pandemie der letzten Monate ist eine absolute Ausnahmesituation und auch wirklich ein Stresstest für unsere Wirtschaft und unseren Arbeitsmarkt.
AH: Wahrscheinlich auch ein Stresstest für Sie. Die letzten drei Monate im Dauerkrisenmodus, wie geht es einem damit?
LG: Ja, also es ist viel gewesen, das ist die akute Krisensituation im März/April. Wir haben eine ganze Reihe von Vorhaben auf den Weg gebracht. Und das ist dann schon eine Herausforderung, auch für das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, weil: Auch bei uns gab es Einschränkungen durch die Pandemie in so einer Situation, mit Hochdruck und auch immer mit sehr schnellen Gesetzgebungsvorhaben auf die Krise zu reagieren. Und wie es mir jetzt geht damit – ich würde sagen, ich bin froh, dass es bisher so gut geklappt hat, weil es doch eine große Ausnahmesituation ist und schwierige Themen waren.
AH: 7,3 Millionen Menschen sind jetzt in Kurzarbeit, also laut ifo Institut, mehr als zu Zeiten der Finanzkrise 2008/2009. Wenn man aber mal schaut in die USA, dann reicht dieser kleine kurze Blick, um zu wissen, dass es ohne dieses Instrument vermutlich noch viel schlimmer aussehen würde. Wie lange kann ein Staat das eigentlich durchhalten?
LG: Ja, das Kurzarbeitergeld ist wirklich das Kriseninstrument der Stunde gewesen und ist es bis jetzt. Wenn wir uns vorstellen: Der Shutdown, dass der Handel, aber auch Gastronomie, Hotellerie, viele Betriebe überhaupt keine Arbeit mehr machen konnten, dann war das Kurzarbeitergeld das Instrument und wir haben ein Ausmaß – also 40 % der Betriebe in Deutschland haben Kurzarbeit angezeigt in den Monaten März/April und das wird für einige sind wir jetzt aus dieser Phase auch schon wieder raus. Das heißt, Beschäftigte können jetzt auch wieder arbeiten, Gaststätten öffnen wieder, der Handel arbeitet wieder. Aber in anderen Bereichen werden wir wirklich über einen längeren Zeitraum die Kurzarbeit brauchen. Lieferketten sind gestürzt, also da gibt es auf jeden Fall noch Notwendigkeiten für Kurzarbeit. Die Rechtslage ist so, dass wir bis Ende des Jahres ganz klar auch für Leute, die länger als zwölf Monate Kurzarbeit haben. Ansonsten ist es so, dass Kurzarbeit zwölf Monate gezahlt wird. Wir hatten jetzt den Koalitionsausschuss, vergangene Woche. Und da ist verabredet worden, dass über das Jahr 2021 – also wie geht es dann im kommenden Jahr weiter – im September entschieden wird.
AH: Das erübrigt fast meine Frage, aber nur fast, weil man natürlich sich fragt: Was passiert denn, wenn die Situation so weitergeht, weil: Wir werden natürlich an unsere Grenzen kommen. Irgendwann werden Unternehmen in Insolvenz gehen. Und was passiert mit denen? Können die dann trotzdem irgendwie noch darauf zurückgreifen? Die werden vielleicht aber trotzdem Menschen entlassen müssen. Also wo steuern wir so ein bisschen hin, wenn Sie auf den Arbeitsmarkt gucken?
LG: Also zum Kurzarbeitergeld noch mal zurück: Es ist eine gesetzliche Leistung, die immer gezahlt wird. Also da ist ein Puffer da. Aber die Brücke über diesen Arbeitsmarkt, die wird sicherlich nicht für jeden Betrieb reichen. Wir rechnen damit, dass es auch vermehrt Insolvenzen geben wird im zweiten Halbjahr dieses Jahres. Wir hoffen natürlich, dass auch die Pandemie sich so entwickelt, dass das nicht so viele sind. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, aber am Ende wird es – und wir sehen das jetzt auch schon - trotzdem zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit kommen. Da ist es dann umso wichtiger, dass wir da auch die richtigen Instrumente haben, dass auch Menschen in Arbeitslosigkeit qualifiziert werden und fit gemacht werden und wir da dann auch Chancen für die Zukunft haben.
AH: Kleine Anmerkung von mir an dieser Stelle: Es gibt auf inqa.de übrigens ein Dossier für Selbstständige und Kleinstunternehmer/innen. Da gibt es dann auch noch mal ausführliche Erklärungen zum Thema Kurzarbeit. Also offenbar geht vielen Unternehmen jetzt so langsam die Luft aus. Wir sehen: Auch bei uns steigt die Arbeitslosenzahl. Im Juni waren es 169.000 mehr als im Mai. Frage, Frau Gebers: Welche Ansprüche habe ich denn im Moment als Unternehmer bzw. als Unternehmerin, um meine Mitarbeiter trotzdem irgendwie zu halten – oder welche Möglichkeiten habe ich denn?
LG: Ja, also das Instrument der Kurzarbeit ist wirklich gut, auch um wieder hochzufahren. Und sinnvoll wäre es, wenn man die Zeiten auch nutzt, um beispielsweise zu qualifizieren. Weil mit Blick auf die Wirtschaft denken wir oder denken auch viele Wissenschaftler , dass Strukturwandel, der sowieso schon stattfindet, sich beschleunigt, also Prozesse der Digitalisierung und dass deshalb es auch notwendig ist, die Mitarbeiter mitzunehmen. Und ideal wäre, wenn man Zeiten der Kurzarbeit, die ja auch gedeckt sind durch Qualifizierung, mit Qualifizierung nutzt. Und dafür gibt es Instrumente. Wir haben mit dem Arbeit-von-morgen-Gesetz auch noch mal die Förderbedingungen verbessert. Das heißt, abhängig von der Betriebsgröße kann man bei notwendigen Qualifizierungen nicht nur die Kosten für die Qualifizierung bekommen, sondern zum Teil auch die Lebenshaltungskosten. Und gerade Zeiten von Kurzarbeit bieten sich für solche Qualifizierungen wirklich an.
AH: Wir müssen über eine Gruppe reden, die mir persönlich in der Debatte derzeit noch ein bisschen zu kurz kommt, nämlich Schüler bzw. Schülerinnen, die auf Ausbildungsplatzsuche sind bzw. junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz haben oder hatten , der jetzt gefährdet ist. Einer der Kritikpunkt war ja auch am Konjunkturprogramm, dass in diesem Paket diejenigen zu kurz kommen, die es am Ende bezahlen müssen, und das sind ja diejenigen. Das kann für die zu einer harten Prüfung werden. Der DGB hat Zahlen vorgelegt, dass schon im April mehr als jeder zweite Bewerber keinen Ausbildungsvertrag hatte. Stehen wir da jetzt vor einem Dilemma?
LG: Kein Dilemma, aber schon etwas, was uns auch Sorgen macht. Und wir dürfen auf gar keinen Fall einen Corona-Jahrgang erzeugen, in dem der Ausbildungsjahrgang, der mit dem Jahr 2021 startet, sozusagen dünner ist. Und das wollen wir auf jeden Fall verhindern. Und deshalb hat die Bundesregierung, hat der Koalitionsausschuss beschlossen, dass es einen Schutzschirm für Ausbildungsplätze gibt und wir jetzt da auch einsteigen, sehr schnell, und es Prämien geben soll für Betriebe, die ihr Ausbildungsniveau halten – oder noch besser: mehr ausbilden als in den vergangenen Jahren.
AH: Wie sieht das im Moment aus? Also wie genau muss man sich das vorstellen als Unternehmen? Also was bekommt man?
LG: Also im Moment ist es so, dass wir ein bisschen die Handbremse sehen mit Blick auf den Ausbildungsmarkt. Das heißt, dass Betriebe sich scheuen, Ausbildungsverträge abzuschließen. Da sind wir noch nicht so weit wie in Vergleichsjahren. Ich denke, das ist auch verständlich aus Sicht der Betriebe, dass man im Moment in dieser großen Unsicherheit zögert, einen Ausbildungsvertag abzuschließen. Es ist aber natürlich falsch, weil: Mit den Auszubildenden macht man die Fachkräfte für morgen und es wird ja dann auch irgendwann eine Zeit nach Corona geben. Und deshalb wollen wir das anreizen, indem es eine Prämie gibt für die Betriebe, die ihr Ausbildungsniveau der vergangenen drei Jahre halten, soll es eine Prämie in Höhe von 2.000 Euro geben. Für jeden Auszubildenden, den man mehr ausbildet, soll es eine Prämie in Höhe von 3.000 Euro geben.
AH: Aber das ist noch so ein bisschen in Abstimmung?
LG: Ja, das ist jetzt gerade, letzte Woche, Koalitionsausschuss beschlossen worden, und wir arbeiten gerade mit Hochdruck daran, zusammen auch mit dem Bildungsministerium und dem Wirtschaftsministerium, da dann die Eckpunkte festzulegen und eine Förderrichtlinie zu machen?
AH: Wo wende ich mich dann hin als Unternehmer, wenn ich das haben möchte, wenn ich das bekommen möchte für meine Azubis?
LG: Das werden voraussichtlich die Agenturen für Arbeit sein. Die haben da auch schon Erfahrung mit solchen Programmen. Wir werden aber sicherlich auch die Handwerkskammern und die anderen Kammern mit einbinden, die dann auch beraten können, die Betriebe. Es dauert noch ein bisschen, aber wir werden sehr schnell sein, weil jetzt ist genau die Zeit, wo die Akquise stattfindet, wo die Betriebe für das Ausbildungsjahr 2021 die Verträge machen und die Gespräche auch stattfinden. Das ist ein bisschen verlangsamt in diesem Jahr. Das liegt auch daran, dass durch den Shutdown die Berufsberatung, die Agenturen nicht so gearbeitet haben wie in anderen Jahren. Und deshalb ist das notwendig, dass wir mit so einem Programm vorantreiben und dafür sorgen, dass auch das Ausbildungsjahr 2021 ein gutes wird.
AH: Ich habe mich natürlich trotzdem gefragt, ob man mit 2.000 oder 3.000 Euro pro Auszubildenden über die Runden kommen kann. Das klingt nicht so viel für einen Unternehmer, weil: So ein Auszubildender kostet in der Strecke natürlich viel mehr und im Moment haben halt einfach viele das Geld gerade noch so für sich.
LG: Also wir wenden uns an die KMUs, also die kleinen und mittleren Unternehmen, das ist noch wichtig zu wissen. Und mit 2.000 oder auch 3.000 Euro pro Auszubildenden ist natürlich eine Ausbildung nicht bezahlt. Aber vielleicht ist eine Ausbildung auch unbezahlbar für den Betrieb und für das Unternehmen, weil: Es geht ja um die eigenen Fachkräfte. Und deshalb liegt es auch im Interesse der Unternehmen selbst, auszubilden. Die Prämie ist jetzt, in diesem Jahr, vielleicht wichtig, um die Unsicherheit, die es aufgrund der Corona-Pandemie gibt, ein Stück weit zu begegnen. Das ist nicht das Hauptargument dafür, junge Menschen auszubilden. Das Hauptargument ist, dass man sich die Fachkräfte für morgen sichert und selbst ausbildet.
AH: Jetzt stelle ich mir gerade vor, dass es vielleicht Unternehmen gibt, denen es gut geht – trotz allem. Also es geht ja nicht allen schlecht, es gibt einige, die kommen ganz gut über die Runden. Die könnten auch – da gibt es auch eine Prämie für – Auszubildende bzw.Azubis übernehmen aus Unternehmen, die jetzt in Insolvenz gehen, bekommen auch eine Prämie dafür. Ist das schon geregelt, wie das dann laufen soll? Oder ist das auch noch in Abstimmung?
LG: Das wird genau auch das Sonderprogramm sein, das ist richtig, das gehört dazu, dass es in dem Fall von Insolvenzen eine Übernahmeprämie gibt für Unternehmen, die dann die Auszubildenden übernehmen, das wird das Sonderprogramm sein, dass auch durch die Agenturen umgesetzt wird.
AH: So, halten wir fest: Das Konjunkturpaket enthält durchaus einige Punkte, die der jungen Generation helfen sollen und können. Hätten Sie sich eigentlich selbst noch mehr gewünscht im Konjunkturpaket für die Generation; Sie haben selbst vier Kinder?
LG: Also ich finde dieses Konjunkturpaket ist wirklich umfassend, auch vom Volumen, wirklich ein großes Konjunkturpaket, das an viele denkt und - das finde ich ganz wichtig – auch einen großen Zukunftsteil hat, in dem man auch auf Innovationen, Forschung usw. setzt. Deshalb, finde ich, hat dieses Konjunkturpaket alle Elemente, die es braucht, um erstens der Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen, auch gegen diese Rezession anzusteuern und einen Schritt in die Zukunft zu machen. Da, finde ich, hat die Bundesregierung sehr gut etwas vorgelegt. Es wird jetzt umgesetzt. Und da ist sehr viel Druck dabei und sehr viel Tempo, denn das ist wichtig, wenn man ein Konjunkturpaket macht: dass es schnell wirken kann, und da arbeiten wir jetzt dran.
AH: So. Am Ende unseres INQA-Podcasts richten wir ja immer den Blick in die kommenden Arbeitswochen. Sie haben in einem Interview vor ein paar Wochen gesagt, manchmal führen Sie im Moment die ersten Telefonate schon um 6:30 Uhr. Was erwarten Sie für die kommende Woche? 6:30 Uhr telefonieren und dann?
LG: Nein, nicht immer 6:30 Uhr, heute war es erst 8:30 Uhr, das erste Telefonat. Aber es ist schon so, dass wir – also heute – eine Sonderkabinettssitzung haben, wo wir einen Teil des Konjunkturpakets umsetzen. Da wird der Kinderbonus dabei sein, auch eine Maßnahme, die sich explizit an Kinder und Familien richtet. Und in der nächsten Woche haben wir dann auch wieder eine Kabinettssitzung, wo viele der Vorhaben, die beschlossen worden sind, direkt dann auch in Gesetze gepackt werden oder in Programme. Also von daher: Es ist weiterhin ein voller Tag und dicht gedrängt, gerade dabei, die verschiedenen Maßnahmen des Konjunkturpakets umzusetzen.
AH: Leonie Gebers, vielen, vielen Dank, dass Sie da waren, auch in dieser vollgepackten Zeit, hier bei uns Rede und Antwort gestanden haben. Das war unser INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“ am 12. Juni 2020. Nächste Woche begrüßen wir hier an dieser Stelle Rolf Schmachtenberg. Er ist ebenfalls Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Und mit ihm können wir einen Blick auf eine andere Gruppe richten: auf Menschen mit Behinderungen. Wir freuen uns, wenn Sie, ihr wieder mit dabei sind und seid. Bis dahin!