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INQA-PODCAST: TRANSKRIPT FOLGE 4

Die INQA-Arbeitswoche. Der Überblick zur Arbeitswelt in Zeiten von Corona. Aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Präsentiert von der Initiative Neue Qualität der Arbeit.

Anja Heyde: Herzlich willkommen zum INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“ an diesem Freitag, den 19.06.2020, mein Name ist Anja Heyde und wir versuchen, Orientierung zu geben für Unternehmer/innen in diesen verrückten Zeiten, in denen jeden Tag irgendwas Neues passiert. Wir haben hier in den vergangenen drei Folgen über Arbeitsschutz gesprochen, über Homeoffice und über den Arbeitsmarkt. Und heute reden wir über alle drei dieser Themen – aber aus einem anderen Blickwinkel. Was bedeutet die Corona-Krise für Menschen mit besonderen Fähigkeiten – andere sagen auch Menschen mit Beeinträchtigungen, sprich: Personen, die von Geburt an oder durch einen Unfall oder eine Krankheit – und das sind bei weitem die häufigeren Ursachen – ein Handicap haben. Und wir gehen der Frage nach, welche Möglichkeiten habe ich als Arbeitgeber – oder Arbeitgeberin -, diese Mitarbeiter auch in diesen schwierigen Corona-Zeiten weiter zu unterstützen. Und dafür ist Rolf Schmachtenberg heute bei uns im INQA-Podcast. In seinen Verantwortungsbereich als Staatssekretär im BMAS fällt unter anderem auch das Thema Diversität. Herzlich willkommen, Herr Schmachtenberg.

Rolf Schmachtenberg: Danke.

AH: So. Dann schauen wir doch erst mal auf die Woche zurück, die Leitlinien fürs Konjunkturpaket stehen. Wie sehen sie aus aktuell?

RS: Wichtig war jetzt diese Woche im Kabinett die Verabschiedung des Nachtragshaushalts, also ganz frei: Ohne Moos nichts los. Das heißt, das eine war ja zu überlegen, was gemacht werden soll. Jetzt müssten natürlich auch die Mittel bereitgestellt werden. Und das war auch der Kraftakt innerhalb der Regierung in den letzten Tagen, diesen doch großen und auch relativ differenzierten Nachtragshaushalt auf den Weg zu bringen, das ist gelungen. Und damit ist die zentrale Grundlage geschaffen, um jetzt die vielen Einzelinitiativen aus dem Konjunkturpaket umzusetzen. Für uns von besonderem Belang sind die Eckpunkte für eines neues KfW-Programm, KfW, Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das ist die Stelle, die immer die Kredite an die Wirtschaftsunternehmen vergibt.

AH: Was auch wichtig ist für die kleinen und mittleren Unternehmen unter anderem.

RS: Was für die wichtig ist, für die kleinen und mittleren Unternehmen, und jetzt kommt was ganz Wichtiges. Das wird jetzt erstmals auch sich an gemeinnützige Unternehmen richten, also kleine und mittlere Unternehmen, die gemeinnützig sind, die waren bisher ausgeschlossen. Und das ist ein richtiger Kulturschritt, dass man sagt: Nein, Jugendherbergen, Familienbildungsstätten, Familienfreizeitstätten und auch die Inklusionsbetriebe, beispielsweise die Sozialkaufhäuser, von denen es allein 400 in der Republik gibt, all die fallen jetzt auch unter diesen Schutzschirm mit einer Garantieerklärung des Bundes. Das wird umgesetzt durch die Landesförderinstitute - das war auch im Kabinett – und das ist ganz wichtige Programm für die Kultur.

AH: Haben Sie denn den Eindruck, dass tatsächlich Inklusion, Menschen mit Beeinträchtigungen in diesem Konjunkturpaket dann tatsächlich umfassend mitgedacht wurden, wenn Sie von Kultur sprechen?

RS: Also ich denke, es wird immer besser. Also wir haben praktisch so traditionelle Grenzlinien, hier Wirtschaft, dort Behindertenhilfe. Und die weichen jetzt deutlich auf. Wir haben ja die Überbrückungshilfen, wo die Eckpunkte letzte Woche Freitag schon im Kabinett waren, auch die Einrichtungen der Behindertenhilfe eingeschlossen. Das heißt, anders als bisher kommen die da auch voll zum Zuge bei den Überbrückungshilfen, die ja ganz wichtig sind für die Unternehmen, die jetzt noch, auch im August, noch Umsatzeinbrüche haben – und jetzt eben auch bei dem Kreditprogramm. Wir haben auch im Konjunkturpaket das Programm „Sozial und mobil“. Und selbst beim Thema Gebäudesanierung taucht jetzt plötzlich auf und auch für Einrichtungen. Das heißt, es wird immer mehr reingeschrieben. Im Übrigen gilt natürlich der Grundsatz, dass bei allen Politikbereichen immer an die Menschen mit Beeinträchtigungen zu denken ist, Stichwort Barrierefreiheit. Also wenn ich jetzt ein Bauprogramm auflege: barrierefrei bauen. Wenn ich Mobilität fördere, öffentlichen Nahverkehr: bitte barrierefrei. Das durchzieht alles und das wird immer besser. Aber man muss daran arbeiten.

AH: So. Und jetzt mit Ziel auch auf unsere Zuhörer, gerade auch die kleinen und mittleren Unternehmen, da ist jetzt vielleicht der eine oder andere da, der jetzt hört und die Ohren spitzt und fragt: Und wie komme ich jetzt an die Gelder? – Steht das schon fest? Ist das schon klar?

RS: Für die Überbrückungshilfen, das ist, glaube ich, das Entscheidende, das ist ja dieses 25 Milliarden-Programm. Da empfehle ich die Internetseite unseres Partnerministeriums, des BMWi anzuschauen, www.bmwi.de, und dort findet man dann sofort Überbrückungshilfen, die aktuellen Infos. Da ist das auch schon ein bisschen ausgedröselt mit den Voraussetzungen. Und im Prinzip verweisen die auf dieselben Stellen wie bei den Soforthilfen. Also wer Anfang April Soforthilfen beantragt hat, die Stelle wird auch jetzt für die Überbrückungshilfen zuständig sein. Das heißt, das kommt letztlich auf deinen Wohnort an, welche Landesstelle dafür zuständig ist.

AH: INQA hat ja auf seiner Website auch einen großen Blog zum Thema Diversität. Sie engagieren sich schon seit Jahren für das Thema, Herr Schmachtenberg, auch als Staatssekretär jetzt im BMAS. Wo kommt denn dieses Engagement eigentlich her?

RS: Ich glaube, das hatte zwei Ursachen. Das eine ist die persönliche Erfahrung. Also ich denke da gerade auch an meine Studienzeit, wo ich zwei gute Freundinnen hatte, die ich auch immer noch habe, die beide seit der Zeit – und das sind ja jetzt nunmehr auch schon 40 Jahre – mit psychischen Beeinträchtigungen ganz schön zu kämpfen haben. Und da habe ich das eben auch unmittelbar erlebt, was das bedeutet, also welche Kraftanstrengung dann nötig ist gegen bestimmte sichtbare und unsichtbare Grenzen anzukämpfen und auch zu kommunizieren, dass man eine Beeinträchtigung hat. Und da habe ich gesehen, wie diese enorme Kräfte entwickeln, um das zu bewältigen. Und dann, eigentlich auch aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit durch ganz viele Gespräche mit selbst Betroffenen, Begegnungen mit selbst Betroffenen, wo immer wieder die Erfahrung war: Da sehen wir eigentlich wie der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft funktioniert. Und das ist eigentlich die andere Quelle, das ist ja die Kernquelle für mich: Wie können wir in unserer Gesellschaft Zusammenhalt organisieren, sodass unsere Gesellschaft auch zukunftsfähig ist. Und das kann man, glaube ich, im Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen und ihrer Stellung und der Wahrnehmung wie in so einem Brennglas auch studieren. Und wenn wir da gut sind, dann sind wir in vielen anderen Dingen auch gut.

AH: Das ist ein interessanter Punkt insofern, dass man bei Menschen mit Beeinträchtigungen ja oft Menschen im Rollstuhl im Kopf hat. Aber Sie reden ja über ein viel breiteres Spektrum.

RS: Ja, ja. Also wir haben den weiten Begriff sogar sozusagen der chronisch Kranken Wenn man das einbezieht, dann kommt man auf enorme Zahlen, ich schätze das etwa auf 29 Millionen Menschen in Deutschland, die in irgendeiner Weise chronisch krank sind oder eben behindert. Wir haben anerkannte Behinderungen ungefähr 12 Millionen, darunter Schwerbehinderte 7,8 Millionen. Das nimmt im Alter zu, überwiegend aufgrund von Krankheiten, manchmal auch genetische Krankheiten. Wenn man sich damit beschäftigt, denke ich, wird immer wieder (deutlich), wie fantasiereich unsere Natur ist, was es da alles gibt, das ist irre. Und das löst eben alle möglichen Beschränkungen aus. Und die kann eine Gesellschaft helfen zu überwinden, wenn sie sich damit im Kopf auseinandersetzt, also die Überwindung der Barrieren in den Einstellungen, das ist meistens mehr als die Hälfte vom Problem. Und dann natürlich auch die geeigneten Hilfsmittel. Und das ist eben für Menschen zum Beispiel mit Lernbeeinträchtigungen ist das nicht der Rollstuhl, sondern da ist das die einfache Sprache. Für Menschen, die gehörlos sind, ist es eben die Gebärdensprache - und vielleicht das Verständnis des Rests der Bevölkerung, dass jemand, der nie gehört hat, der kennt Deutsch nicht. Das heißt, Deutsch ist für ihn eine Fremdsprache. Und das heißt, sie bewegen sich dann plötzlich sogar in der eigenen Kultur, der Kultur der Gehörlosen. Und das ist das, was es so faszinierend macht, weil Sie dadurch so einen Spiegel auf unsere Gesellschaft bekommen.

AH: Das ist ein interessanter Punkt, denn wir hatten gerade – also da hat Corona uns auch eine Menge gelehrt, in dieser Zeit – die Schwerhörigenverbände. Ich kann mich erinnern: Zu Beginn der Corona-Krise war es so, dass wir ganz, ganz viel und sehr laut tatsächlich in dem Zusammenhang sich zu Wort gemeldet haben, weil Pressekonferenzen oft ohne Gebärdensprache stattgefunden haben. Das hat sich dann so ein bisschen entwickelt, würde ich sagen. Wenn wir jetzt mal ganz aktuell auf die Tracing-App gucken: Ist die denn auch barrierefrei soweit, dass Sie sagen würden, das ist in Ordnung?

RS: Also zunächst mal: Das ist ein schönes Beispiel dafür, dass in jeder Krise auch eine Chance steht. Deutschland war da im internationalen Vergleich eher lasch, also Pressekonferenzen und so, Gebärdendolmetscher nie. Und das hat sich sehr verbessert. Es ist noch nicht gut, aber es hat sich sehr verbessert. Man muss das noch rigoroser durchhalten. Da ist auch sofort ein Engpassfaktor. Gute Gebärdendolmetscher gibt es gar nicht so viele. Und was auch wunderbar ist: barrierefreie Hinweise. Also wenn Sie jetzt Nachrichtenseiten der Bundesregierung aufmachen, ist sofort ein Hinweis: Hier gibt es auch noch die barrierefreie Variante, wo ich also eine Datei öffnen kann, sodass Sie dann zum Beispiel für Blinde auch gleich vorgelesen wird. Das ist eine große Verbesserung. Und bei der App haben wir von vornherein auch als Ressort immer wieder darauf hingewiesen: Denkt an die Barrierefreiheit. – Und ich würde sagen, es ist einigermaßen gelungen. Das Entscheidende ist, dass eben die App von vornherein so funktioniert, dass die Einstellungen zur Barrierefreiheit, die man vorgenommen hat, übernommen werden in dieser App automatisch. Ich habe auch noch mal unseren Behindertenbeauftragten gefragt, Jürgen Dusel, der ist ja stark sehbehindert, der sagte: Das ist eigentlich – für ihn ist es in Ordnung. Aber wir haben noch keine Darstellung in leichter Sprache. Also wenn Sie diese App aufmachen, diese ganze Gebrauchsanleitung, und so, das ist keine leichte Sprache. Das muss zum Beispiel noch mal nachgelegt werden. Daran arbeiten aber auch die Kollegen. Also das wird jetzt hoffentlich sehr, sehr bald dann auch kommen, dass du eine Taste da kriegst: Wo kann ich das Ganze noch mal in einfacher Sprache verständlich erklärt bekommen, wie das funktioniert? – Das ist ja ganz wichtig bei dieser App. Was muss ich beachten? Wie funktioniert die? Was wird erfasst, was nicht? Also insofern: Ja, ein guter Start. Meistens sind Apps beim Start schlechter als diese. Aber auch diese ist noch nicht perfekt.

AH: Jetzt haben wir einen kleinen Zwischenschritt gemacht, das ist insofern spannend, weil wir von der Barrierefreiheit der Tracing-App jetzt hinkommen zum Beispiel zu Software. Jetzt haben ja viele Unternehmen in den Corona-Zeiten Mitarbeiter im Homeoffice gehabt, und für die Software, die dazu benutzt wird, gilt ja dasselbe wie für die Tracing-App: Sie muss barrierefrei sein. Ist Homeoffice aus Ihrer Sicht eher ein Vor- oder ein Nachteil für Menschen mit Beeinträchtigungen?

RS: Tendenziell vielleicht ein bisschen ein Vorteil. Also zunächst einmal: Ich denke, es ist für jeden Menschen wichtig, dass er über die Arbeit auch Team erlebt, andere trifft und Gemeinschaft erlebt. Also insofern ist es auch für Menschen mit Beeinträchtigungen natürlich schade, dann plötzlich die Kollegen nicht zu sehen und nicht zu treffen. Aber die Vorteil zum Beispiel, nicht jeden Morgen sich, wenn man jetzt mobilitätseingeschränkt ist, durch die Stadt zu quälen, zum Arbeitsplatz, die ist natürlich eine Mühe, die entfällt. Und genauso die vielen Dienstreisen, die wir vorher alle für zwingend notwendig erachteten und wo natürlich dann auch die Kollegen mit Beeinträchtigungen dabei sein mussten. Und wenn man zum Beispiel dann jetzt doch Rollstuhl – mit der Bahn fährt, da gibt es das, aber da gibt es nur sehr wenige Plätze. Und wenn du die nicht rechtzeitig vorher reservierst, dann ist Schluss, dann fährt der Zug ohne dich. Und häufig sind auch diese Bahnservices überlastet, und so. Also das heißt, da werden möglicherweise durch Homeoffice auch viele Belastungen zunächst mal rausgenommen. Aber ich komme zu dem Anfangspunkt: Auch Menschen mit Beeinträchtigungen arbeiten sicherlich auch gern mit ihren Kollegen auch im Betrieb zusammen.

AH: Trotzdem: Wenn ich denn als Unternehmen sage „Im Homeoffice ist es für mich sogar leichter, Menschen mit Beeinträchtigungen einzustellen, und ich lasse die im Homeoffice arbeiten“, welche Voraussetzungen müssen dann erfüllt sein?

RS: Na gut, dann muss eben entsprechend der Arbeitsplatz barrierefrei sein. Das ist - typischerweise sind unsere Arbeitsplätze immer Computer-Arbeitsplätze, Tisch-Arbeitsplätze. Da kann es darum gehen, dass man eine spezielle Tischeinrichtung hat, einen speziellen Stuhl, möglicherweise in der Software bestimmte Vorkehrungen – die Vorkehrungen der Software bräuchte man aber übrigens im Büro ja genauso, das ist ja kein anderes. Und da ist die gute Nachricht, dass wir ja von den Integrationsämtern eine Förderung auch für Arbeitsplatzausstattungen haben. Und das geht auch im Homeoffice, das kann man also dann durchaus auch beantragen, dass auch für einen Home-Arbeitsplatz dann entsprechende notwendige zusätzliche Vorkehrungen - der Nachteilsausgleich – in den Kosten übernommen wird.

AH: Wie ist das dort, wo Homeoffice nicht möglich ist? Gibt es da besondere Anforderungen an inklusive Arbeitsplätze? Also ich denke jetzt so an die allgemeinen – im Moment, die wir haben, Arbeitsschutzregeln, die ja entsprechend durch Corona auch zu Hygieneschutzregeln geworden sind.

RS: Ja, oder der Hygieneschutz ist wieder zurückgekehrt zu uns, nachdem er ja im 19. Jahrhundert eine Riesenrolle gespielt hat und wir das dann so gut im Griff hatten, dass wir ihn vielleicht ein bisschen aus den Augen verloren haben, jetzt ist er wieder da. Zunächst mal gelten dieselben Regeln wie für alle anderen auch. Und dann muss man natürlich schauen. Also es gibt zum Beispiel Menschen mit Beeinträchtigungen, die haben eine Immunschwäche. Da sollte man sicherlich vielleicht eher darauf achten, dass 1,50 Meter wirklich 2 oder 2,50 Meter eingehalten werden. Und hier gilt auch wieder: Man muss drüber sprechen: Was ist im Einzelfall vielleicht noch zusätzlich zu bedenken? Und beispielsweise Maskeneinsatz kann bei Gehörlosen zu Schwierigkeiten führen, wenn sie dann nämlich nicht mehr die Lippen ablesen können, Unterstützung auch der Lippensprache. Da ist es sehr wichtig, auf durchsichtige Masken, diese Maskenschirme zu achten. Aber auch hier gilt eigentlich wie fast überall beim Thema Menschen mit Beeinträchtigungen: Leute, redet darüber. Man muss es aussprechen und dann findet man eine Lösung. Und man darf das nicht so in den Skat drücken, so wie: Da ist doch gar kein Problem. – Dann geht alles.

AH: Sie haben vorhin gesagt, wir haben so rund 29 Millionen Menschen in Deutschland mit Beeinträchtigungen, das ist verdammt viel.

RS: Mit den chronisch Kranken. Zum Beispiel ich: Ich habe meine Allergie oder mit meinem Bluthochdruck, da geht es ja schon los. Die Brille hier, auch, rauf, runter.

AH: Ja, ich habe minus 11. So gesehen bin ich auch beeinträchtigt.

RS: Ja, man lässt das aber für sich nicht zu. Da fängt das schon mit den Einstellungen an.

AH: Doch. Sobald ich meine Kontaktlinse oder die Brille nicht auf habe, dann weiß ich ganz genau.

RS: Dann haben Sie eine Schlüsselerfahrung schon gemacht: Nämlich es kostet Zeit. Das Kind mit den guten Augen hat schon den Fahrplan gelesen und Sie sagen: Warte mal, mein Junge, ich muss die Brille aufsetzen. – Also da sieht man schon dieses: Moment, es geht, auch Sie können lesen, aber Sie brauchen womöglich ein wenig mehr Zeit als der Mensch mit den perfekten Augen.

AH: Ja. Und wenn es ganz klein ist, muss ich ganz nah rangehen. Aber wenn wir es mal eng fassen, dann wir 7,8 Millionen Menschen ungefähr mit schwerer bzw..

RS: Anerkannter Schwerbehinderung.

AH: Genau. Und jetzt aber die Frage, die da für mich dahintersteckt: Wie viel von denen sind in Arbeit?

RS: Von denen sind zunächst einmal 58 % nicht im Alter der Erwerbstätigkeit. Also sie sind entweder jünger als 15 – das sind aber nur ganz wenige – oder älter als 65. Weil Behinderung kommt mit Krankheiten und das lädt man sich sozusagen im Leben auf. Und von diesen 42 %, die zwischen 15 und 65 Jahren alt sind, sind gut 30 % in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung.

AH:Weil Sie gesagt haben, es geht eigentlich alles, wenn man nur redet. Warum ist es dann so schwierig, Menschen mit Beeinträchtigungen in Jobs zu kriegen?

RS: Also das ist ein guter Punkt. Das ist genau die Frage: kriegen. Also wenn Sie mal drin sind, dann läuft es eigentlich ganz gut. Aber warum ist es so schwierig, Sie hineinzubekommen? Meistens wird eben die Behinderung mit dem Alter erworben. Das heißt, man redet in der Regel, wenn wir über arbeitslose Menschen mit Schwerbehinderung reden, über Menschen, die über 50 sind, schnell auch langzeitarbeitslos sind und eine Beeinträchtigung haben. Das heißt, Sie haben drei Probleme zu lösen. Es ist schon – ältere Arbeitnehmer stellen viele Arbeitgeber nicht mehr ein. Entweder die sind ihnen zu sperrig, die kann man nicht mehr formen – also jetzt ganz unabhängig von Behinderungen. Oder bis ich den eingearbeitet habe, ist der in schon in Rente. Also es gibt das grundsätzliche Problem für Ältere. Wenn jemand langzeitarbeitslos ist, gilt das in Deutschland immer als so ein Signal: Der ist schon länger arbeitslos, da ist irgendwas dran. – Und wenn der jetzt auch noch schwerbehindert ist, dann ist das so ein Signalmix, weswegen Arbeitgeber häufig sagen: Das tue ich mir nicht an. – Und dabei erkennen sie nicht, dass viele gerade Schwerbehinderte enorme Stärken haben – das ist meine Eingangsbemerkung noch mal. Menschen mit Behinderungen haben enorme Stärken entwickelt, wie sie mit ihrer Behinderung in der Gesellschaft leben, zurechtkommen, haben Tricks entwickelt, haben Möglichkeiten entwickelt, sie sind eigentlich auch Innovateure darin, und deswegen sind sie eigentlich sehr, sehr wertvolle Mitarbeiter, auch gerade in gemischten Teams – allerdings vielleicht ein bisschen langsamer. Haben Sie jetzt einen ungeduldigen Chef, wo immer alles schnell gehen muss, immer alles schnell, schnell, schnell, dann ist das wahrscheinlich für Menschen mit Beeinträchtigungen unter Umständen die Hölle. Also das ist die eine Seite. Und die andere Seite ist, dass natürlich viele Menschen mit Beeinträchtigungen haben dann auch so ihre Erfahrungen gemacht mit Arbeitgebern, mit dem Problem, das auszusprechen, was sie haben, gerade – wir haben eine große Gruppe von Menschen mit Beeinträchtigungen, Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen. Man sieht die Beeinträchtigung gar nicht. Dies zu kommunizieren – da komme ich auf meinen Punkt von vorher -: Also wir müssen lernen, das mehr zu kommunizieren, zu besprechen und dadurch zu ermöglichen. Ich glaube, das sind die Hemmfaktoren. Wir arbeiten daran und pausenlos und stets und ständig mit unseren Informationsarbeiten, Beratungsarbeiten, wirtschaftinklusiv, die Integrationsämter sind unterwegs, die Bundesagentur bietet was an. Aber unsere Erfahrung ist eigentlich immer diese Einstellungsbarrieren und Voreinstellungen. Und das ist wieder zu kompliziert – und das vielleicht für beide Seiten.

AH: Und dabei ist es das eigentlich nicht, wenn man redet, wie Sie gesagt haben. Und wie kann jetzt dieser Digitalisierungsschub den kleinen und mittleren Unternehmen noch helfen zu sagen „ich nehme Menschen mit Beeinträchtigungen in den Job“?

RS: Ja, zum Beispiel, wenn man dann von vornherein sagt: Man richtet das stärker als einen Heimarbeitsplatz ein, dann ist das ja auch gewonnene Arbeitszeit im Übrigen, für beide Seiten. Und wenn man jetzt erkennt: Eigentlich mit diesen digitalen Techniken können wir wirklich sehr gut miteinander kommunizieren, die Tage war hier bei mir der oberste jetzt von den Versicherungen, also gerade im Versicherungsbereich, die Sachbearbeitung, läuft im Moment, nach dem, was ich gehört habe, schneller denn je. Weil: Das läuft im Homeoffice sehr effizient, sehr zügig ab – und klar: Man wird dann auch wieder Zusammenarbeit formen, führen, dass man sich auch im Team mal wieder sieht. Und da, denke ich, sind große Chancen.

AH: Also der INQA-Podcast ist ja wie so eine Art Werkstattgespräch über Gesetzgebung und Krisenmodus. Und wir haben es uns zur Angewohnheit gemacht zu fragen, was die neue Woche bringt, so der Blick in die Glaskugel, Herr Schmachtenberg. Was steht denn nächste Woche auf dem Plan?

RS: Also nächste Woche steht auf dem Plan – und das ist ganz wichtig auch für die kleinen und mittleren Unternehmen -, dass aus dem Konjunkturpaket die Eckpunkte zur Ausbildungsförderung verabschiedet werden. Da ist ja im Konjunkturpaket verabredet worden die Maßnahme Nr. 30, dass für kleine und mittlere Unternehmen, die trotz Kurzarbeit ihre Ausbildung nicht zurückführen, eine Prämie bereitgestellt werden soll. Und für solche, die trotz Kurzarbeit mehr ausbilden, soll die sogar besonders hoch ausfallen. Diese Eckpunkte sollen nächsten Mittwoch im Kabinett sein. Und dann haben wir natürlich ein großes Thema jetzt: die europäische Präsidentschaft, am Montagabend Koalitionsrunde dazu, noch mal Aussprache für ganz oben in der Spitze: Was steht da jetzt an? Wie gehen wir das an? Und das ist für uns auch als Haus - die europäische Präsidentschaft - schon ein großes Projekt, das schafft man nur alle 14 Jahre, solche Präsidentschaft. Und wir haben ein kurzes Halbjahr wegen der Sommerpause, faktisch nur September bis Mitte Dezember, dann gehen wir ja alle Weihnachtsfeiern, also das ist eine sehr kurze Zeit. Und wir haben einerseits natürlich jetzt coronabedingt das eine oder andere schnell voranzubringen, die Finanzierungseckpunkte für die EU, der Brexit steht an und dann ist unser großes Thema eben die Organisation der fairen Mobilität. Wir haben Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Wir haben gerade in dieser Woche die Verabschiedung eines Gesetzes, wo ein Projekt, mit dem wir gerade Arbeitnehmer aus dem europäischen Ausland intensiv beraten über ihre Arbeitsrechte, Arbeitsschutzsituation, gesetzlich verankern. Ist ja akuter denn je mit den neuen Zahlen aus dem Bereich Fleischwirtschaft. Und der Ausblick ist, dass wir jetzt faktisch in der europäischen Präsidentschaft gerade das Thema Grenzüberschreitung mobiler Arbeitnehmer sehr stark in den Fokus nehmen, also Saisonarbeitnehmer, wie sind die abgesichert, müssen wir da nicht noch mal was gucken, Stichwort Krankenversicherung. Und auch: Wie kriegen wir eine bessere Konvergenz auch in der Europäischen Union hin? Denn die kritischen Geschäftsmodelle leben ja eigentlich alle von diesen großen Lohndifferenzen, ja? Man findet Arbeitnehmer, die sind bereit, hier zu arbeiten zu schlechten Bedingungen wegen der großen Lohndifferenzen. Und das ist das große Thema der europäischen Präsidentschaft, dies zu lösen?

AH: Da gibt es auch noch eine Menge zu erzählen. – Das war der INQA-Podcast „Arbeitswelten in Zeiten von Corona“ am 19.06.2020. Vielen Dank an Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Sozial. Nächsten Freitag sind wir wieder da und dann wieder mit Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Bis dahin!

Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf Menschen mit Beeinträchtigung? Wie können Führungskräfte und Unternehmen diese Beschäftigten besser unterstützen? Wie sind Menschen mit Beeinträchtigung in den Arbeitsmarkt integriert – und was bringen sie mit? Diese und weitere Themen besprechen wir in der vierten Folge des INQA-Podcasts mit Staatssekretär Rolf Schmachtenberg im Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

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