Rohre austauschen, Maschinen im Klärwerk kontrollieren oder sich in der Kanalisation Berlins zurechtfinden: Bei den Berliner Wasserbetrieben verfügen die Mitarbeitenden über sehr spezifisches Fachwissen, das man nicht an der Uni oder in der Berufsschule lernen kann. Wissen, über das oft Ältere verfügen und das möglichst lange im Betrieb erhalten und weitergegeben werden sollte. Das hat das landeseigene Unternehmen früh erkannt und 2016 die Demografiestrategie „Fit for Change“ auf den Weg gebracht. Das Ziel: Ältere gesund und lange im Betrieb zu halten. Neben gesundheitlichen und ergonomischen Themen geht es dabei auch um Personalentwicklungsfragen.
Alles ist eine Phase
Ein besonderes Angebot ist das Lebensphasen-Coaching. „Dabei erarbeiten wir in einer individuellen Session gemeinsam, was den Beschäftigen 50plus wichtig ist, was sie erreichen möchten, sowohl beruflich als auch privat. In beruflicher Hinsicht ist es für uns gut zu wissen, wer sich mehr im Bereich Wissenstransfer engagieren oder eher eine Führungsposition übernehmen möchte. Privat ist es vor allem für die Mitarbeitenden wichtig, damit sie nach der Arbeitsphase nicht in ein Loch fallen“, erklärt Kristin Kroboth, Leiterin des Gesundheitsmanagements bei den Berliner Wasserbetrieben.
Zusätzlich gibt es den Workshop „Erfüllende letzte Berufsjahre Ü55“. Dieser findet in einer Gruppe statt. Dabei können die Beschäftigten eine konkrete Perspektive für ihre letzte Arbeitsphase erarbeiten. Im Bereich der Personalentwicklung haben die Wasserbetriebe ein Wissentransfer-Konzept entwickelt, wie sie den großen Erfahrungsschatz der Älteren sinnvoll weitergeben können „ In moderierten Prozessen vermitteln sie ihr Wissen, dabei kann man in die Tiefe gehen und gibt nicht einfach nur einen Ordner von einer Person zur anderen weiter“, erklärt Yasmin Born, zuständig für Strategie im Personalbereich. Durch eine vorübergehende Doppelbesetzung von Stellen mit erfahrenen und jungen Beschäftigten wird das Know-how dann gefestigt. Außerdem gibt es Cross-Mentoring-Programme, bei denen eine erfahrene Fach- oder Führungskraft und eine Nachwuchskraft unterschiedlicher Unternehmen ein Tandem bilden. Ein Fokus liege auch auf der Digitalisierung. Das betreffe nicht nur die älteren, sondern alle Mitarbeitenden. Hier bietet das Unternehmen verschiedene Weiterbildungsformate an, entweder für ganze Teams oder auch, wenn einzelne Mitarbeiter*innen persönlichen Nachholbedarf erkennen.
Arbeit gemeinsam richtig anpacken
Im Bereich Gesundheit haben die Berliner Wasserbetriebe ein Arbeitsplatzprogramm für die Außenstandorte entwickelt, das sich hauptsächlich mit ergonomischen Fragen beschäftigt. Dabei schaut das Gesundheitsmanagement z. B. Kolleg*innen in einem Regenwasserbecken über die Schulter. „Wir klären sie darüber auf, was passiert, wenn ich den Sack mit Flockungsmittel aus dem unteren Regal mit krummem Rücken hebe und was da passiert, wenn ich das mit einem geraden Rücken mache“, so Kristin Kroboth. Auch die Jüngeren werden beraten, denn sehr schwere Arbeiten werden oft an sie weitergegeben. Außerdem überprüfen die Gesundheitsmanager*innen regelmäßig, wie schwere Arbeitsbelastung reduziert werden kann. Das ist mal eine Rampe, die gebaut wird, so dass die Kisten nicht mehr hochgehoben werden müssen, sondern nach oben fahren. Oder es werden neue Angeln zum Entnehmen von Wasserproben angeschafft, die leichter und ergonomischer sind. Aber auch auf die passende Arbeitskleidung kommt es an. Bei einer Untersuchung zeigte sich, dass manche Beschäftige nicht die richtige Schuhgröße tragen. In Rahmen eines Gesundheitstages werden nun die Füße der Außendienst-Mitarbeiter*innen vermessen und neue Arbeitsschuhe bestellt.
50 ist das neue 25
Das mittelgroße Elektro- und Antennentechnik-Unternehmen BEA Bergmann aus Hamburg teilt die Erkenntnis, dass ihre älteren Kolleg*innen über enorm wichtiges Fachwissen verfügen. „Im Bereich der Antennentechnik haben wir Fachkräftemangel, und wenn wir jemanden finden, der sich damit gut auskennt, spielt das Alter keine Rolle. Vor kurzem haben wir jemanden eingestellt, der 63 Jahre alt ist. Da haben wir gesagt, seine Expertise brauchen wir, auch um das Wissen auch an die jüngeren Kollegen heranzubringen“, sagt Geschäftsführer Sascha Fynn Kitschke. „Fünfzig ist für mich auch nicht alt. Mein Gefühl ist eher, dass es das neue 25 ist.“ Das Wissen der älteren Fachkräfte wird auch ganz konkret im Arbeitsalltag gebraucht: „Ganz viele Anlagen, an denen wir arbeiten sind alte Bauteile, die gibt es ja teilweise nicht mehr, also müssen wir sie reparieren. Und das geht eben nur durch die Kollegen, die das schon lange machen“, erklärt Kitschke.
Wenn sich Mitarbeitende dem Renteneintrittsalter nähern, wissen sie, dass sie bei den Geschäftsführenden Sebastian Meyer und Sascha Fynn Kitschke ein offenes Ohr finden. "Die Beschäftigten sprechen uns direkt an wenn sie länger arbeiten wollen, ob in Teil- oder Vollzeit. Da findet man gemeinsam immer eine Lösung", so Sebastian Meyer.
Eine Brücke zwischen den Generationen schlagen
BEA Bergmann beschäftigt Mitarbeitende im Alter von 17 bis 66 Jahren. Ein Drittel der Belegschaft ist 50 Jahre alt und älter. Wenn sie vor Ort arbeiten, sind oft Auszubildende gemeinsam mit erfahrenen Gesell*innen unterwegs. Nicht immer ist sofort das Verständnis für die andere Generation da. Gerade, wenn es um das Thema Handy geht. „Wenn die Jüngeren bei der Fahrt die ganze Zeit aufs Smartphone gucken, denkt der Ältere, den interessiert es nicht, was er erzählt. Da müssen wir als Führungskraft auch mal vermitteln und versuchen beide Seiten zu sehen. Bei uns im Handwerk fangen die Auszubildenden zwischen 16 und 25 an. Da haben sie halt andere Probleme im Leben. Aber das haben wir bisher immer hinbekommen.“ Wichtig sei, miteinander im Gespräch zu bleiben.
Wertschätzen und Fachkräfte sichern
Ob großes oder kleines Unternehmen, ob mit Strategie oder ohne: Unternehmen können stark vom Fachwissen älterer Mitarbeiter*innen profitieren. Wenn sie das Gefühl haben, gebraucht zu werden und ihnen Wertschätzung vermittelt wird, sind Beschäftigte eher bereit bis zur Ruhestandsgrenze oder auch länger zu arbeiten. Bei der Verteilung der Arbeitslasten und bei ergonomischen Fragen lohnt es sich immer wieder nachzujustieren und präventiv zu denken: Wo kann Erleichterung geschaffen werden und wer kann am besten welche Aufgaben übernehmen? Indem Sie für alternsgerechte Arbeitsbedingungen in Ihrem Betrieb sorgen, schaffen Sie letzten Endes ein gesundes Arbeitsumfeld für alle Altersgruppen.