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Seit fast 20 Jahren setzen sich die Sozialheld*innen für Menschen mit Behinderung ein. Ihnen geht es um mehr Teilhabe in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt sowie um neue und bessere Lösungen für mehr Barrierefreiheit. INQA sprach mit Anne Gersdorff, Referentin für Arbeit bei der Initiative.

Frau Gersdorff, mit welchen Schwierigkeiten haben Frauen mit Behinderung in der Arbeitswelt besonders zu kämpfen?

Frauen mit Behinderung haben es in der Regel noch schwerer, auf dem ersten Arbeitsmarkt einen Job zu finden, als Männer mit Behinderung. Das ist auch statistisch belegt – Aktion Mensch hat zum Beispiel 2021 eine Studie dazu veröffentlicht. Hinzu kommt, dass Menschen mit Behinderung häufiger in klassische Berufe gedrängt werden. Klischees, die ohnehin gesellschaftlich bestehen, fallen hier noch mal stärker ins Gewicht. Menschen mit Behinderung arbeiten auch öfter in Werkstätten und das sind Orte, an denen Gewalt begünstigt wird. Von Gewalt, auch von sexualisierter Gewalt, am Arbeitsplatz sind Frauen mit Behinderung nachweislich häufiger betroffen als andere Frauen. Und in der Öffentlichkeit sind Männer mit Behinderung deutlich stärker sichtbar: Bei den Sozialheld*innen hatten wir zum Beispiel zwei Anfragen von großen Unternehmen für Fotokampagnen. Da wurde dann ganz deutlich kommuniziert, dass man lieber einen Mann auf dem Motiv wollte als mich. Und wenn Sie mal schauen, wer sich in der Öffentlichkeit über Behinderung äußert, dann ist das auch oft männlich dominiert.

Aus dem aktuellen „Inklusionsbarometer Arbeit“ von Aktion Mensch geht hervor, dass sich die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung zwar wieder stabilisiert hat, die Folgen der Pandemie jedoch weiter anhalten. Die Zahl an Langzeitarbeitslosen ist weiterhin hoch. Trotz des Fachkräftemangels scheint der Arbeitsmarkt weiter die Potenziale von Menschen mit Behinderung zu missachten. Welche besonderen Auswirkungen hatte die Pandemie für Frauen mit Behinderung?

Während der Pandemie leisteten Frauen generell mehr Care-Arbeit als Männer, kümmerten sich mehr um Haushalt, Kinder und die Fürsorge. Das war auch bei den Frauen mit Behinderung nicht anders. Bei ihnen führte diese Situation aber dazu, dass sie noch länger arbeitslos sind und noch schwerer wieder in den Arbeitsmarkt und in das Erwerbsleben hineinfinden als Frauen ohne Behinderung.

Und wie ist die Situation jetzt, nach dem Ende der Pandemie?

Das Thema besteht leider noch immer – Frauen sind weiterhin negativ betroffen. Das überrascht jedoch nicht, denn wir wissen, dass Frauen mit Behinderung bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten in der Regel die ersten Leidtragenden auf dem Arbeitsmarkt sind.

In 2020 und 2021 hat die Digitalisierung in Deutschland in vielen Bereichen einen ungeahnten Schub erhalten. Sehen Sie das auch für die Barrierefreiheit? Haben Unternehmen barrierefreie und inklusive Arbeitsbedingungen verstärkt vorangetrieben?

Ich denke schon. Während der Pandemie haben viele Anbieter von Software für Videokonferenzen bei der Barrierefreiheit nachgerüstet, zum Beispiel durch eine automatische Untertitelung, was das Arbeiten für behinderte Menschen erleichtert. Wir haben aktuell ziemlich viele Anfragen von Unternehmen, die wissen wollen, wie sie inklusiver werden können. Es scheint so, dass immer mehr Unternehmen verstehen – auch auf Grund des Fachkräftemangels – dass sie sich neue Bewerber*innenkreise erschließen müssen. Gleichzeitig hören wir aber aus der Community, dass viele mit ihren Bewerbungen nicht durchdringen. Die sagen: Wir bewerben uns, aber niemand stellt uns ein. Fairerweise muss man aber auch anmerken, dass es sehr hohe Hürden gibt, sowohl für Unternehmen als auch für Menschen mit Behinderung, die eine Stelle suchen. Zum Glück gibt es aber auch viele Möglichkeiten der Unterstützung und Beratung.

Warum ist eine diverse und inklusive Unternehmenskultur so wichtig?

Wir wissen aus Studien, dass diverse Teams oft zu kreativeren Lösungen finden. Wenn sich mehr Menschen gesehen und willkommen fühlen, entsteht einfach ein anderer Teamspirit. Und wenn ich als Unternehmen ein barrierefreies Produkt entwickle, profitieren davon auch andere Bevölkerungsgruppen. Für ältere Menschen ist es zum Beispiel genauso gut, wenn Dinge leicht zu bedienen sind; und für Geflüchtete ist es gut, wenn Anleitungen mehr visuell und weniger textlastig sind.

Welche Botschaft möchten Sie insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen mit auf den Weg geben, die sich mit dem Thema stärker auseinandersetzen wollen und überlegen, Inklusion künftig stärker umzusetzen?

Einfach anfangen und sich nicht abschrecken lassen! Es gibt viele Möglichkeiten der Unterstützung und Beratung – und die sollte man nutzen.

Wo finden Unternehmen Hilfe, die sich beim Thema Inklusion auf den Weg machen möchten?

In Berlin und Bremen gibt es zum Beispiel die Initiative Inklupreneur. Sie unterstützt Start-ups und Grown-ups mittels eines Coachingprogramms dabei, Menschen mit Behinderungen einzustellen. Daneben gibt es Innoklusio, ein Modellprojekt, das über drei Jahre läuft und 15 Unternehmen betreut.

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