Viele Unternehmen möchten inklusiver werden, wissen jedoch nicht wie. Tobias Munzel hat Antworten. Als hauptamtlicher Inklusionsbeauftragter von Audi Ingolstadt machte er das Thema schon vor Jahren zu seiner Profession. „Inklusion passiert nicht einfach“, stellt er im Gespräch mit INQA.de klar, „um Inklusion muss man sich kümmern.“ Beim bayerischen Autobauer ist die Aufgabe auf viele verschiedene Schultern verteilt: Neben ihm als Inklusionsbeauftragten sind der Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung sowie die Personalabteilung mit dem Thema betraut. Gleichzeitig sind aber auch die Unternehmensleitung und alle Führungskräfte dazu aufgerufen, inklusiv zu denken und zu handeln. Munzel: „Eine gute und bereichsübergreifende Zusammenarbeit ist entscheidend für den Erfolg!“
Vorreiter in Sachen Inklusion
Audi war einer der ersten Konzerne in Deutschland, deren Führungsriege verstand, wie wichtig und zukunftsrelevant Inklusion ist: Bereits Anfang der 1990er Jahre legte eine Verfahrensregelung fest, wer im Unternehmen für den Einsatz von Menschen mit Behinderung sowie für leistungsgewandelte Mitarbeitende verantwortlich ist. Letztere sind Personen, die aufgrund gesundheitlicher oder psychischer Probleme ihre bisherige Tätigkeit nicht mehr weiterführen können. Bei Audi stehen die Fachbereiche in der Pflicht, ausreichend Arbeitsplätze für beide Gruppen zu schaffen. Standards regeln, wie diese auszusehen haben. „Die Verfahrensregelung hat sehr dabei geholfen, das Thema bei Audi transparent zu machen“, ist Munzel überzeugt. Von den rund 56.000 Mitarbeitenden an den Standorten Ingolstadt und Neckarsulm haben aktuell etwa 3.400 eine Behinderung, das entspricht einem Anteil von sechs Prozent. Noch größer ist die Zahl der leistungsgewandelten Mitarbeiter*innen: Mit ca. 9.500 machen sie inzwischen mehr als ein Sechstel der Belegschaft aus.
„An meinem neuen Arbeitsplatz bin ich aufgeblüht“
Max Hirsch ist einer von ihnen. Der heute 49-jährige kam 2008 zu Audi und arbeitete zehn Jahre lang in der Lackiererei. Die Arbeit am Band machte ihm mit der Zeit immer stärker zu schaffen, was bei ihm schließlich zu gesundheitlichen Problemen führte. „Ich wollte meine Arbeit bewältigen und habe lange die Augen davor verschlossen, wie schlecht es mir dabei eigentlich ging“, erinnert sich Hirsch. Irgendwann nahm ihn der Meister zur Seite und sagte: „Du machst dich kaputt, so geht das nicht weiter.“ Er bekam den Hinweis, sich an den Werksarzt zu wenden und erhielt aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen bald darauf einen Arbeitsplatz in einem der unternehmensinternen Servicecenter. „Hier bin ich wirklich aufgeblüht“, schwärmt Hirsch. „Die Arbeit macht Spaß, ich schaffe meine Aufgaben und erfahre Wertschätzung.“ In seinem Servicecenter arbeiten zurzeit rund 75 Menschen zwischen 35 und 64 Jahren, die aufgrund chronischer Krankheiten oder körperlicher Beschwerden ihre vorherigen Tätigkeiten nicht mehr ausüben können.
Mehr Erfolg durch zufriedene Mitarbeiter*innen
„Wir übernehmen Reinigungsarbeiten, überprüfen Elektrogeräte, transportieren Gegenstände von A nach B und lösen logistische Aufgaben“, erklärt Hirsch. Jede und jeder werde so eingesetzt, wie es für sie oder ihn eben möglich sei. Niemand werde über- oder unterfordert, das schaffe Zufriedenheit. Inzwischen ist er zum Gruppensprecher aufgestiegen und für zehn Mitarbeitende verantwortlich. „Alle zwei Wochen bereden wir, was aktuell ansteht. Wenn jemand ein Anliegen hat, bin ich aber auch zwischendrin immer ansprechbar.“ Seinen Arbeitgeber kann Hirsch für das Engagement nur loben. „Viele Mitarbeitende haben ja über Jahre oder Jahrzehnte mit ihrem Wissen und Tun dazu beigetragen, dass es Audi gut geht. Dass sie nicht fallen gelassen werden, wenn sie ihre Tätigkeit nicht mehr weiterführen können und andere Aufgaben bekommen, finde ich vorbildlich.“
Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung
Wie fast überall bei Audi sind auch die Teams in den Servicecentern gemischt. Leistungsgewandelte Personen arbeiten dort eng zusammen mit Menschen mit Behinderungen (MmB) sowie mit Kolleg*innen ohne Einschränkungen. MmB kommen zum Beispiel auch in der Haus- und Hofmeisterei zum Einsatz, in der Poststelle, in der Fertigung, im Verpackungsbereich, in der IT oder der Kommunikation. Die Bandbreite reicht von Einschränkungen des Bewegungsapparates über Autismus und psychischen Erkrankungen bis hin zu Diabetes. „Wir spiegeln hier die gesamte Gesellschaft wider“, sagt Tobias Munzel. Audi versuche, auf alle Beschäftigten bestmöglich einzugehen. Für gehörlose Menschen ist zum Beispiel bei Betriebsversammlungen oder Personalgesprächen ein*e Gebärdendolmetscher*in mit dabei. „Für mich ist meine Gehörlosigkeit keine Behinderung“, sagt Vanessa Gruosso, die in der Montage am Audi Standort in Neckarsulm tätig ist. „Ich weiß, hier bei Audi habe ich eine Stimme und werde nicht einfach übergangen.“
Die Führungskräftearbeit ist nicht zu unterschätzen
Doch wie schafft man ein inklusives Unternehmen? Eine besondere Bedeutung habe die Einbindung der Führungskräfte, sagt Thomas Wendl, Leiter des Betriebsratservice Ingolstadt: „Das Thema muss einfach in die Köpfe rein!“ Wichtig sei aber auch, ergänzt Jochen Biber, Vertrauensperson für Menschen mit Behinderung bei Audi Ingolstadt, dass klare Ansprechpartner*innen bereitständen: „Was ist zu tun, wie gehe ich am besten vor, welche Möglichkeiten habe ich? Die Führungskräfte müssen wissen, wohin sie sich wenden können.“ Im Führungsleitbild von Audi ist Inklusion schon lange verankert und auch in Schulungen kommt es immer wieder zur Sprache. Da ein Großteil der Führungskräfte aus dem eigenen Haus stammt (in der Fertigung sind es 99 Prozent), haben die allermeisten schon vor dem Karriereschritt Erfahrungen mit dem Thema Inklusion gesammelt.
Ein wichtiger Faktor: Die Planung
Um Inklusion zu ermöglichen, spielt bei Audi auch die Targetisierung, also die Planung von Arbeitsplätzen, eine wichtige Rolle. „Bei jedem neuen Fahrzeugprojekt berechnen wir, wie viele Menschen mit Einschränkungen wir bei der Produktion einsetzen können und was dafür zu bedenken ist“, erläutert Wendl. Auch beim Einstellen von Auszubildenden sei Planung ein wichtiger Faktor: „Pro Jahr stellen wir rund acht bis zehn junge Menschen mit Behinderung ein. Und wir bedenken von vornherein, wo wir sie im Anschluss an ihre Ausbildung einsetzen können.“ Audi bietet allen Azubis nach erfolgreicher Berufsausbildung ein garantiertes Übernahmeangebot mit unbefristetem Arbeitsverhältnis.
„Am Ende profitieren alle“
Eine wissenschaftliche Studie, die Audi in Zusammenarbeit mit der Universität St. Gallen durchführen ließ, kam bereits 2015 zu dem Schluss, dass ein gut geführtes inklusives Unternehmen in allen Bereichen erfolgreicher ist – vom geringeren Krankenstand, über die höhere Leistung bis hin zu mehr Kreativität und innovativer Kraft. Gleichzeitig fördern Arbeitsplätze, die auf die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen zugeschnitten sind, auch die Gesundheit aller anderen: „Egal ob Fahrstuhl, höhenverstellbarer Tisch oder Exoskelette als Hebehilfe in der Fertigung – am Ende profitieren alle“, sagt Jochen Biber. Und zufriedene und gesunde Mitarbeitende sind auch für das Unternehmen ein Gewinn.
Tobias Munzel, Thomas Wendl und Jochen Biber haben Ratschläge zum Thema Inklusion zusammengestellt:
Neun Tipps für Betriebe, die sich inklusiv aufstellen wollen
Inklusion sollte nicht nur das Thema der Personalabteilung sein. Schaffen Sie in Ihrem Unternehmen Präsenz und Bewusstsein für barrierefreie Prozesse und Teilhabemöglichkeiten und binden Sie dabei sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeitenden mit ein.
Halten Sie für interne Diskussionen anschauliches Zahlenmaterial bereit, zum Beispiel zu den positiven Auswirkungen von Inklusion.
Sorgen Sie dafür, dass alle Prozesse transparent und nachvollziehbar sind.
Klare Zuständigkeiten (wer macht was wann?) helfen, die Prozesse voranzubringen.
Benennen Sie Ansprechpartner*innen im Unternehmen, an die sich Führungskräfte und Mitarbeitende mit Fragen wenden können.
Von diversen Teams profitieren alle, darum sollten in keinem Bereich ausschließlich MmB beschäftigt sein. Und keinesfalls sollte die Arbeit, die Mitarbeitende mit Einschränkungen nicht leisten können, zusätzlich anderen Kolleg*innen aufgebürdet werden.
Bevor Sie Auszubildende mit Behinderung einstellen, überlegen Sie, wo Sie diese im Anschluss einsetzen können und wählen Sie die Personen entsprechend aus.
In jedem Unternehmen lassen sich Stellen finden, auf denen Menschen mit Behinderung gut arbeiten können. Es lohnt sich, danach zu suchen.
Zögern Sie nicht, sich mit Fragen oder der Bitte um Unterstützung an eine externe Stelle zu wenden.