Faktisch ist Deutschland schon lange ein Einwanderungsland: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes hat mehr als ein Viertel der Bevölkerung Migrationserfahrung oder stammt von Menschen ab, die in den vergangenen Jahrzehnten aus anderen Ländern eingewandert sind. Merkmale, die damit in Verbindung gebracht werden – zum Beispiel ein Akzent, eine nicht-weiße Hautfarbe oder ein nicht-deutscher Bildungsabschluss – werden auf dem Arbeitsmarkt häufig diskriminiert. So bleibt Potenzial ungenutzt. Und auch innerhalb von Unternehmen erleben manche Menschen aufgrund solcher Merkmale ausgrenzendes Verhalten durch Kolleg*innen oder auch Führungskräfte – nicht immer, aber immer noch viel zu oft. „Unternehmer*innen sollten kritisch untersuchen, inwiefern es in ihrem Betrieb Ausgrenzungsmechanismen gibt“, sagt Kinga Bogyó‐Löffler, Autorin der Publikation „Aktive Gestaltung der Vielfalt in Unternehmen“ der IQ Fachstelle Interkulturelle Kompetenzentwicklung und Antidiskriminierung.
Diskriminierende Strukturen im Unternehmen finden und aufdecken
Solche Mechanismen seien allerdings nicht immer leicht zu finden: „Sie geschehen oft unbewusst, sind Teil von täglichen Routinen“, erläutert die promovierte Pädagogin. „Es gilt, sie aufzudecken und im Sinne eines produktiven Miteinanders durch Praktiken und Strukturen zu ersetzen, die durchlässiger sind und mehr Menschen einbeziehen.“ Maßnahmen, die beim Aufspüren solcher Mechanismen helfen, sind zum Beispiel interkulturelle Trainings für Fach- und Führungskräfte, in denen sie über ihre Haltung, Werte, Normen und den eigenen Kommunikationsstil reflektieren oder auch über inklusive Strukturen und Antidiskriminierung. Sinnvoll kann auch eine Weiterbildung der Führungskräfte zum Thema „Führung und Konfliktberatung in interkulturellen Teams“ sein. Daneben spielt die Stärkung der Präsenz von Menschen mit Einwanderungsgeschichte auf allen Ebenen – natürlich auch in Führungspositionen – eine große Rolle.
Wie kommt mehr Vielfalt ins Unternehmen?
Kinga Bogyó‐Löffler empfiehlt Führungskräften und Personalverantwortlichen, sich in Strategieworkshops mit der Frage zu befassen, wie sich im Unternehmen ein interkultureller Öffnungsprozess etablieren lässt. Verschiedene Maßnahmen können neuen Kolleg*innen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, beim Ankommen und Einarbeiten helfen und gleichzeitig auch die Attraktivität eines Unternehmens erhöhen. Dies können Mentoring- oder Lotsenprogramme sein, Hilfe bei Behördengängen und im Prozess der Anerkennung ausländischer Qualifikationen oder auch interkulturelle Netzwerke innerhalb des Betriebs. Wer internationale Fachkräfte einstellen möchte, sollte darüber nachdenken, eine Relocation-Agentur mit ins Boot zu holen. Deren Mitarbeiter*innen unterstützen zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder beim Finden eines Schul- oder Kitaplatzes, und erleichtern dadurch den neuen Kolleg*innen und ihren Familien den Start in ihrer neuen Heimat.
Mut und Haltung sind wichtig
Manchmal gehört auch einfach Mut dazu – vor allem bei ganz kleinen Unternehmen. Felix Martin hatte diesen Mut. Er führt einen traditionellen Handwerksbetrieb für Treppenbau im Schwäbischen mit zwei Mitarbeitenden und beschloss im Sommer 2017, zusätzlich einen aus Nigeria geflüchteten jungen Mann als Lehrling einzustellen. „Am Anfang hatte ich mich gefragt, ob das überhaupt geht. Aber dann hat sich eine rechtliche Lösung gefunden“, erzählt Martin. Sein Mitarbeiter ist inzwischen Geselle und hat eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung. Vorbehalte in der Belegschaft gab es nur auf Seiten des Altgesellen, erinnert sich Martin. „Das Fremde machte ihm Angst. Aber ich habe klar gemacht: Mensch ist Mensch! Für mich kann jeder arbeiten, der motiviert und lernwillig ist.“ Als der neue Lehrling dann angefangen hatte, man sich kennenlernte und eng zusammenarbeitete, seien beim Altgesellen die Zweifel schnell verflogen.
Allyship hat viele Gesichter
Im Einwanderungsland Deutschland erfahren sowohl Migrant*innen oder Geflüchtete Rassismus, als auch Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Wie können Unternehmen Rassismus vorbeugen oder entgegenwirken? Aktive Solidarisierung (Allyship) kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Das gilt für Menschen aus der LGBTIAQ+-Community genauso wie für Beschäftigte mit Behinderungen und für alle, die von Rassismus bedroht sind. Allyship bedeutet, offizielle Ansprechpartner*innen zu benennen, aber auch Kolleg*innen für das Thema zu sensibilisieren und Angehörigen marginalisierter Gruppen damit zu signalisieren „Wir sind an Eurer Seite, ihr gehört zu uns!“ – so wie es auch Felix Martin in seinem Handwerksbetrieb gezeigt hat. Eine weitere Möglichkeit sind Antirassismus-Trainings für Beschäftigte. Das Informations- und Dokumentationszentrum für Antirassismusarbeit e.V. hat beispielsweise ein deutschlandweites Verzeichnis von Trainer*innen zusammengestellt.
Mit den richtigen Begriffen Respekt und Sensibilität zeigen
In solchen Workshops geht es auch um Begrifflichkeiten. Was auf den ersten Blick banal erscheint, ist immens wichtig, denn wer das Vokabular beherrscht, signalisiert als Arbeitgeber*in Sensibilität für dieses Thema. Vor allem aber zeugt die Beachtung von Selbstbezeichnungen von Respekt. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, bezeichnen sich selbst häufig als Person of Color oder im Plural als People of Color (beides kurz PoC). Diese Begriffe werden auch im Deutschen immer geläufiger. Weder PoC noch Schwarz – mit großem S geschrieben – beziehen sich auf Hautfarben, eine ethnische Zugehörigkeit oder Abstammung, sondern stehen für eine Verbundenheit durch ähnliche Rassismuserfahrungen.
Die Macht der Bilder
Neben Begriffen spielen auch Bilder eine Rolle: Ob im Intranet oder auf der Webseite – People of Color sollten auch hier sichtbar sein, wenn es sie im Unternehmen gibt, um vorhandene Vielfalt abzubilden. Und auch im Marketing, in der Werbung und bei den Produkten sollte eine diversitätsbewusste, vorurteilskritische bildliche Darstellung beachtet werden. Das wirkt nach innen wie nach außen – und damit auch in die Gesellschaft hinein. Auch dort gibt es manchmal noch Vorbehalte, das hat auch Treppenbauer Felix Martin schon bei Auftraggeber*innen erlebt – offen rassistische Sprüche jedoch noch nicht. Sollte das jemals vorkommen, hat er jedoch mit seinem Team schon eine Absprache: „Dann packen wir unsere Sachen und gehen.“