Früher waren homogene Teams die Normalität. Mittlerweile ist die Arbeitswelt diverser und bunter geworden. Und so haben bereits mehr als 3.900 Betriebe und Institutionen die „Charta der Vielfalt“unterzeichnet – unter ihnen auch rund 2.000 kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Mit dieser Selbstverpflichtung erklären sich die Unterzeichner*innen bereit, ein wertschätzendes und vorurteilsfreies Arbeitsumfeld zu schaffen. Aspekte wie Alter, ethnische Herkunft und Nationalität, Geschlecht und geschlechtliche Identität, körperliche und geistige Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexuelle Orientierung und soziale Herkunft sollen in der Unternehmenskultur und bei Karriere- und Entwicklungschancen keine Rolle mehr spielen (die sieben Diversity-Kern-Dimensionen). Aber wie sieht die Realität aus?
Diversität als Erfolgsfaktor – Bewusstsein stärken, Vielfalt fördern
„Die gute Nachricht ist, dass Diversitätsmanagement in vielen deutschen Unternehmen angekommen ist“, stellt Stefan Kiefer vom Verein Charta der Vielfalt fest. Dennoch haben Betriebe und Organisationen beim Thema Vielfalt in Deutschland noch Nachholbedarf. Besonders in Führungspositionen sind Frauen und Menschen mit Migrationsgeschichte deutlich unterrepräsentiert. Auch ältere Personen werden im Berufsalltag häufig ausgegrenzt. Und Menschen mit Behinderung schaffen es nur selten, eine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt zu finden. Uniformität wird in Betrieben zunehmend als Problem erkannt. Das zeigt auch eine aktuelle Umfrage unter Beschäftigten in Deutschland.
„Diversität ist nicht nur ethisch wünschenswert, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll“, betont Dr. Gerhard F. Braun, INQA-Botschafter und Mitglied des Präsidiums der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Zahlreiche Studien zeigen: Diversität eröffnet neue Perspektiven und verstärkt die Wandlungsfähigkeit sowie Flexibilität einer Organisation. „Die Betriebe müssen vom Reden und Denken ins Handeln kommen“, empfiehlt Kiefer. Vielfalt ist ein Erfolgsfaktor für Unternehmen und Verwaltungen. Deshalb sollten Verantwortliche sich stärker für Toleranz, Fairness und Wertschätzung in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft engagieren. Aber: Diversitätsmanagement muss gelebte Unternehmenskultur sein und nicht nur in Leitbildern und Führungsgrundsätzen formuliert sein. Dr. Braun sieht Diversitätsmanagement als einen wichtigen Bestandteil der Personalpolitik: „Es führt mitunter zu herausragenden innovativen und auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittenen Lösungen.“
Die Unterzeichnung der Charta der Vielfalt kann ein erster Schritt sein, bedarf jedoch weiterer vertiefender Maßnahmen – wie Schulungen für die Belegschaft, um Kompetenzen zu stärken, oder die Gründung von Mitarbeitenden-Netzwerken.
Erfolgsbeispiel Unternehmen – „Erfolg braucht Menschen, die unterschiedlich ticken“
Wie ein Großunternehmen vielfältige Bewerber*innen anzieht, zeigt das Beispiel des internationalen Handels- und Touristikkonzerns REWE Group. Das Unternehmen, Unterzeichner der Charta der Vielfalt, beschäftigt weltweit über 380.000 Menschen aus 150 Nationen. Ein diskriminierungsfreies Personalmanagement und inklusives Recruiting bilden die Basis bei der Anwerbung von Personal. Kontinuierliche Sensibilisierung und Aufklärung der Belegschaft fördern gegenseitige Wertschätzung im Berufsalltag. Die Diversitätsmanagement-Maßnahmen der REWE Group werden nicht nur vom Konzern getragen, sondern auch von Beschäftigten unterstützt. Sie organisieren Netzwerktreffen, planen und beteiligen sich an Veranstaltungen und engagieren sich für Toleranz und Offenheit im gesamten Unternehmen. „Heterogene Teams sind nachweislich kreativer, innovativer, resilienter und damit erfolgreicher,“ erklärt Dr. Petra Meyer-Ochel, Bereichsleiterin Center of Excellence Personalentwicklung Handel Deutschland. Ein Beispiel für gelebte Vielfalt in der Unternehmensgruppe ist das LGBTIQ-Netzwerk di.to („different together“). di.to-Mitarbeitende organisieren monatliche Netzwerktreffen und planen und beteiligen sich an LGBTIQ-Veranstaltungen. Frank Bartels, Leiter Event- und Travelmanagement REWE Group, ist Sprecher des di.to-Netzwerkes: „Das Netzwerk agiert innerhalb des Unternehmens sehr transparent, um möglichst viele Kolleg*innen zu erreichen und als Unterstützer*innen zu gewinnen, ohne sie mit der Thematik zu überfordern.“
Erfolgsbeispiel Verwaltung – Diversität an Hochschulen fördern
Hochschulen gelten oft als Zentren fortschriftlichen Denkens. Doch das spiegelt sich nicht unbedingt in der Lebensrealität der Beschäftigten wider: Ausländische Wissenschaftler*innen sind in der Minderheit und nur jede vierte Professur ist mit einer Frau besetzt. Darüber hinaus tun sich viele Institutionen schwer mit der wachsenden Diversität unter Studierenden. Doch auch hier greifen gezielte Programme. Die Universität Hamburg hat an dem Audit „Vielfalt gestalten“ des Stifterverbandes teilgenommen und ein eigenes Diversity-Konzept mit 38 Maßnahmen entwickelt. Um den vielfältigen Biografien der Studierenden gerecht zu werden, legt die Hochschule besonderen Wert auf die Vereinbarkeit von Studium, Beruf und Familie sowie auf weitere Diversity-Aspekte. Sie hat einen Beratungswegweiser und eine Datenbank mit allen Gleichstellungsmaßnahmen erarbeitet und ist gerade dabei, ein LGBTIQ-Netzwerk umzusetzen. Die Uni-App bekommt bald eine Zusatzfunktion zur barrierefreien Orientierung auf dem Campus. Auch in der Verwaltung stehen Maßnahmen zur diversitätsreflektierten Zusammenarbeit und Führung im Mittelpunkt.
Diversitätsmanagement in KMU – Vorteile von Vielfalt fördern
Für kleine und mittlere Unternehmen kann Diversitätsmanagement ein wirksames Instrument sein, um Herausforderungen wie den demografischen Wandel oder den steigenden Fachkräftebedarf anzugehen. Allerdings wird in Gesprächen oft schnell klar, „dass Diversity für viele kleine und mittlere Unternehmen einzig die Förderung von Frauen in Führungspositionen bedeutet. Das ist und bleibt ein wichtiges Thema“, erläutert Ute Grandt, Expertin für Kulturwandel in Organisationen. „Doch im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel und den Wandel in der Arbeitswelt braucht man einen ganzheitlichen Blick auf das Thema Diversität.“
Vielen KMU-Verantwortlichen seien die Vorteile von Vielfalt nicht bewusst, sagt Ute Grandt. In der Beratung bekommen sie daher die Unterstützung, die sie bei der Entwicklung einer eigenen Diversitätsstrategie benötigen. Dabei ist es wichtig, sich bei der Umsetzung auf einzelne Maßnahmen zu fokussieren, statt Diversität von Beginn an in aller Komplexität umsetzen zu wollen.
Zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen sind jedoch auf dem richtigen Weg: Über 2.000 KMU haben die Charta der Vielfalt bereits unterzeichnet. Laut Dr. Braun zeigen KMU „nach innen und außen ihren Respekt und ihre Wertschätzung. Gerade sie leisten hier Großes, ohne dass in der Öffentlichkeit darüber berichtet wird“.
Auch Stefan Kiefer empfiehlt kleinen und mittleren Unternehmen, pragmatisch mit Diversitätsmanagement umzugehen: Die Vielfaltsstrategie muss zu den spezifischen Geschäftszielen passen. Auch wenn es anfangs vielleicht eher kleine Schritte sind – sie führen zu einem großen Ziel: Die Vielfalt unserer Gesellschaft soll sich in den Unternehmen widerspiegeln.