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  • Mithilfe des INQA-Experimentierraums MADAM bereiteten sich die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) auf die Zukunft vor.
  • In den vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Experimentierräumen erproben Unternehmen praxisnah innovative Arbeitsansätze. Dabei arbeiten Mitarbeitende verschiedener Bereiche und Hierarchiestufen zusammen.
  • Mangelnde Wertschätzung der Fahrgäste gegenüber dem Fahrpersonal erwies sich als ein wichtiges Thema, das gemeinsam angegangen wurde.
  • Eine Lösung: ein Mikrofontraining für die Fahrer*innen.

Joachim Rösler hat beruflich schon viel probiert: Er arbeitete als Pädagoge mit Jugendlichen, verdiente sein Geld als Musiker und studierte einige Semester Psychologie. Vor acht Jahren saß der Familienvater zum ersten Mal auf dem Fahrersitz eines Busses der Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) – und blieb. Seitdem bugsiert Rösler mit seinem 18-Meter-Gefährt fast täglich Fahrgäste durch die sächsische Großstadt, immer auf Sicherheit bedacht und meist auch gut gelaunt. Als die LVB 2018 beschlossen, einen INQA-Experimentierraum ins Leben zu rufen und dafür interessierte Mitarbeitende suchten, war er sofort zur Stelle. „Bei solchen Aktionen bin ich gerne mit dabei“, erzählt der gebürtige Hamburger und lächelt. „Ich mag die Abwechslung und letztlich kann man durch solch ein Projekt nicht nur persönlich etwas dazulernen, sondern auch helfen, das Unternehmen voranzubringen.“

Das Projekt MADAM

Mit dem INQA-Experimentierraum „Mobile Arbeit wird digital, digitale Arbeit wird mobil, kurz: MADAM“, wollten sich die LVB aktuellen Herausforderungen wie der Digitalisierung oder dem Fachkräfteengpass widmen und neue Wege in die Zukunft finden. „Konkret hatten wir uns vorgenommen, unsere Fahrenden stärker ins digitale Zeitalter zu holen und unseren Fachkräften in der Verwaltung mehr Flexibilität bei der Wahl ihres Arbeitsortes zu ermöglichen“, erläutert Beate Hunold, ehemals Projektleiterin von MADAM.

Mehr als 60 Mitarbeitende aus unterschiedlichen Bereichen und über verschiedene Hierarchiestufen hinweg waren im dreijährigen Projektzeitraum beteiligt. Dabei nutzte das Team die Methode des Design Thinking, die inzwischen von immer mehr kleinen und mittelständischen Unternehmen eingesetzt wird – zum Beispiel, um kreativ und mit wenig Aufwand Maßnahmen zur Rekrutierung neuer Fachkräfte zu entwickeln. Dazu gehörte, dass Mitglieder des Projektteams Interviews mit Mitarbeitenden durchführten und sie bei ihrer Arbeit begleiteten und beobachteten.

Unterwegs mit einer Straßenbahnfahrerin

Auch Frank Struck war Teil des Projektteams. Als Mobilitätsberater klärt er normalerweise Kinder oder Rentner*innen über das richtige Verhalten an Haltestellen und in Verkehrsmitteln auf. Da war es für ihn eine willkommene Abwechslung, im Rahmen von MADAM einmal einer Straßenbahnfahrerin über die Schulter blicken zu können: „Es war für mich hochinteressant, vorne in der Kabine zu sitzen“, erzählt Struck. „Mir ist aufgefallen, mit welchen Herausforderungen die Fahrenden konfrontiert sind, zum Beispiel, dass sie immer hochkonzentriert sein müssen. Und sie müssen das Verhalten von Menschen gut einschätzen können: Bleibt der Mann dort stehen? Geht diese Frau noch vor meiner Straßenbahn über die Gleise?“

Dieses Ausmaß an Verantwortung sei ihm vorher nicht bewusst gewesen. „Die Fahrenden machen einen sehr wichtigen Job und haben viel mehr Wertschätzung verdient.“ An dieser, das zeigten die Befragungen und Beobachtungen des MADAM-Teams deutlich, mangelt es jedoch viel zu oft.

Mehr Kontakt? Gerne! Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Busfahrerin Sandy Kläge über Fahrgäste, die lieber einen weiteren Weg zur hinteren Tür gehen, als vorne bei ihr einzusteigen.

Mensch oder Maschine?

„Am schlimmsten sind die Leute, die sehr laut Musik hören, Alkohol trinken oder die Füße auf den Sitz legen. Wenn man die anspricht, kann die Situation schnell eskalieren“, erzählt Jens Zocher, der seit mehr als 30 Jahren Straßenbahn fährt. Solche Vorfälle seien zum Glück jedoch selten, mangelnde Wertschätzung hingegen Alltag: „Was mich ärgert ist, dass viele Fahrgäste sich nicht bedanken, wenn man extra für sie noch mal anhält.“

Diese Erfahrung hat auch Busfahrerin Sandy Kläge schon gemacht und ergänzt: „Ich finde es traurig, wenn die erste Tür offen steht, die Fahrgäste aber daran vorbeigehen und hinten einsteigen.“ Wenn „Guten Tag“ und „Danke“ fehlen, ein Lächeln oder Zunicken ausbleibt, dann ist es leicht, sich nicht als Mensch gesehen zu fühlen, sondern als Bestandteil des Fahrzeuges, das man steuert. Das wurde dann auch dem Projektteam klar: „Als wir verstanden, dass Wertschätzung ein wichtiges Thema für unsere Beschäftigten im Fahrdienst ist, haben wir es sofort aufgegriffen“, sagt Beate Hunold.

Nicht zu unterschätzen: Wertschätzung im Arbeitskontext

Petra Kruppenbacher wundert es nicht, dass Wertschätzung auf der Agenda von MADAM landete. Als Beraterin hat sie täglich mit Geschäftsführer*innen, Mitarbeitenden und Teams zu tun. Dabei fällt ihr oft auf, welch große Rolle mangelnde Wertschätzung bei Konflikten spielt. Fehle sie, führe das oft zu einer Motivations- und Antriebslosigkeit. „Viele Menschen machen dann nur noch Dienst nach Vorschrift“, stellt sie immer wieder fest. Auch Wertschätzung von außen spiele eine Rolle; bestimmten Gruppen fehle es hieran besonders: „Betroffen sind alle, die nur als Überbringende der eigentlichen Leistung gesehen werden, also zum Beispiel Beschäftigte in der Gastronomie, im Einzelhandel, im Nah- und Fernverkehr oder in Callcentern.“

Hier seien die Arbeitgebenden in der Pflicht, selbst Wertschätzung zu zeigen und die Mitarbeitenden stark zu machen: „Da kann man als Chefin zum Beispiel mal sagen: ‚Wahnsinn, wie du es schaffst, trotz des Verkehrschaos so einen guten Job zu machen‘. Und damit einen Kokon schaffen, der Sicherheit bietet.“

Wie verschafft man den Fahrenden mehr Wertschätzung?

Das MADAM-Team wollte eine Lösung finden, die zur LVB passt. „Zunächst hatten wir die Idee, die Arbeit unserer Fahrer*innen sichtbarer zu machen,“ erklärt Beate Hunold. „Das erwies sich dann jedoch als zu aufwändig.“ Stattdessen entschied sich das Team für zwei andere Maßnahmen. Das waren zum einen die sogenannten Swing Cards – hübsch designte, knallgelbe Karten, die in den Bussen und Bahnen aushingen und die Möglichkeit boten, einen Kommentar, ein Lob oder eine Botschaft an den*die Fahrer*in zu hinterlassen. Die Passagiere konnten direkt auf die Karte schreiben und sie den Fahrenden persönlich übergeben oder sie später portofrei versenden. Alternativ ließ sich ein QR-Code scannen und die Botschaft online übermitteln. Bei den Leipziger*innen kam die Aktion gut an und bei den Fahrenden auch: „Die Beteiligung war sehr gut und für uns Fahrer*innen war es schön, mal etwas Konkretes in der Hand zu haben“, sagt Joachim Rösler.

Ein ‚Danke‘ wäre schön Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Straßenbahnfahrer Jens Zocher erzählt aus seinem Arbeitsalltag und erklärt, wie „Swing Cards“ funktionieren.

Mit Durchsagen hörbarer und damit sichtbarer werden

Als zweite Maßnahme lud das Projektteam einen Radiomoderator zu einem Workshop ein. Seine Aufgabe: Er sollte eine Gruppe von Fahrer*innen am Mikrofon fit machen und sie dazu ermutigen, ihre Stimme häufiger einzusetzen, um somit hörbarer und damit auch sichtbarer zu werden. In der anschließenden Pilotphase testeten sie das Eingeübte im Arbeitsalltag.

Kreativ am Mikrofon Ein Einblick in den INQA-Experimentierraum MADAM: Sandy Kläge und Joachim Rösler demonstrieren, wie sie bei ihren Durchsagen im Bus unterhaltsam auf Alltagssituationen eingehen.

Rösler war aus Neugierde bei dem Workshop dabei, Durchsagen hatte er auch vorher schon regelmäßig gemacht. „Mein Job als Busfahrer bietet mir die Möglichkeit, mein eigenes Feedback einzuholen. Das ist schon genial“, schwärmt er. „Die Leute reagieren in der Regel positiv auf persönliche Durchsagen. Und je kurzweiliger die ist, desto besser das Feedback.“ Straßenbahnfahrer Jens Zocher sah sich in seinem Job bislang „nicht als Entertainer“, wie er betont. Inzwischen sei ihm jedoch bewusst geworden, wie wichtig Durchsagen sind: „Meine Fahrgäste sind entspannter und haben mehr Verständnis für meine Situation, wenn ich sie in besonderen Situationen frühzeitig und umfassend informiere.“

Nach dem Abschluss von MADAM – wie es weitergeht

Anfang 2022 lief der INQA-Experimentierraum MADAM aus. Das Team präsentierte die Ergebnisse vor der Geschäftsführung der LVB und stieß dort auf offene Ohren. Vieles, was erarbeitet und getestet wurde, soll schon bald Alltag werden: Im Bereich Wertschätzung ist zum Beispiel geplant, die Mikrofon-Workshops in die Aus- und Fortbildung zu integrieren. Am Thema Partizipative Dienstplangestaltung und einem digitalen Wissens- und Lerncampus für alle Beschäftigten der LVB arbeitet ein Team weiter. Und das im Rahmen von MADAM entwickelte Konzept für mobile Arbeit steht vor der Umsetzung. Beate Hunold ist zufrieden: „Unser Weg zum Erfolg waren Design Thinking und interdisziplinäre Teams – und das beides würden wir anderen Unternehmen auch empfehlen“.

In den Broschüren „Erfolg mit Ansage – Wie Sie informative Durchsagen persönlich, kompetent und originell gestalten“ (bei den LVB auf Nachfrage erhältlich) und „Mit Design Thinking betriebliche Innovationen schaffen“ sowie dem Praxishandbuch „Digitalisierung in kommunalen Betrieben gestalten“ hat das Team um Beate Hunold die Ergebnisse so aufbereitet, dass auch andere Unternehmen sie nutzen können.

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