Herr Suchy, ob Fachkräftemangel oder Digitalisierung - die Herausforderungen in der Arbeitswelt sind gewachsen, der Veränderungsdruck steigt. Wie und vor allem in welchen Bereichen kann Künstliche Intelligenz unterstützen?
Beim KI-Einsatz in der Arbeitswelt geht es um eine höhere Effizienz, um Optimierung und letztlich auch die Veränderung von Wertschöpfung. Ein wesentliches Ziel sollte sein, die Beschäftigten durch KI-gestützte Assistenzsysteme zu entlasten, ob bei körperlicher oder auch kognitiver Arbeit. Aber das ist vor allem eine Frage der Arbeitsorganisation. Das zeigt zum Beispiel die Arbeit in einem Callcenter. Das kann KI dazu nutzen, den Mitarbeitenden während des Gesprächs automatisch passende Informationen über Kund*innen zuzuspielen und deren Handlungsspielräume zu erweitern. Das nennt man Augmented Intelligence. Sie können das System aber dazu nutzen, die Mitarbeitenden zu „optimieren“ - und zum Beispiel auf der Basis von Emotionsanalysen „Regieanweisungen“ während der Arbeit geben. Das löst allerdings schnell zusätzlichen Stress aus, genauso wie die Übernahme von sogenannten Routineaufgaben durch KI. Wenn die Callcenter-Agent*innen nur komplizierte Fälle abarbeiten, steigt natürlich die Belastung.
Einige Menschen stehen KI eher skeptisch gegenüber. Welche potenziellen Schwierigkeiten sehen Sie beim Einsatz intelligenter automatischer Technologien?
Zum einen geht es um die Sorge vor datengestützter Überwachung bis hin zu prädiktiven Analysen, die über die Zukunft der Beschäftigungsperspektiven entscheiden können. Zum anderen kann KI Tätigkeiten nicht nur ersetzen, sondern auch so stark simplifizieren, dass sie die Arbeit entwertet und sich die Beschäftigten austauschbar und nicht mehr wertgeschätzt fühlen. Es stellt sich also neben der Automatisierung auch die große Frage nach dem Level der Autonomie von Beschäftigten. Deshalb brauchen wir innovative Change-Prozesse, um die Folgen von KI im betrieblichen Setting abzuschätzen – und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Und wie gelingt das?
Indem sich Unternehmer*innen noch vor der Einführung der neuen KI-Systeme die richtigen Fragen stellen, klare Ziele definieren und mögliche Zielkonflikte offen benennen. Das beginnt mit der Frage, wofür KI überhaupt eingesetzt und wer in welcher Form betroffen sein wird. Dafür sollten die unterschiedlichen Kompetenzen im Unternehmen gebündelt und sowohl Betriebsräte als auch die betroffenen Beschäftigten von Anfang an einbezogen werden. Es braucht einen innovativen und gemeinsamen Spirit - und das über den gesamten Prozess hinweg. Das Ziel: Potenziale für gute Arbeit heben. Dabei müssen Projektteams auch ausloten, welche Risiken bestehen können. Je nach Kritikalität der KI-Möglichkeiten sollten auch unterschiedliche Regeln vereinbart sowie Grenzen gezogen werden. Fallen Arbeitsplätze weg, müssen die betroffenen Beschäftigten eine neue Perspektive erhalten. Geht es um eine neue Arbeitsteilung, sprich eine Kollaboration von Menschen und KI, muss geklärt werden: Was soll die Maschine übernehmen? Was hilft den Beschäftigten? Und was bleibt ihnen? Darüber hinaus müssen Zuständige den neuen Bedarf an Qualifizierung ermitteln und Belastungswirkungen beachten. Außerdem müssen sie klären, welche Daten für welchen Zweck genutzt werden sollen.
Gelten für KMU andere Richtlinien in Sachen Einführung von KI als für große Unternehmen oder Konzerne?
Nein, aber natürlich verfügen KMU in der Regel nicht über die technologischen Kompetenzen. Dafür brauchen KMU Unterstützung wie zum Beispiel durch die Zukunftszentren oder wissenschaftliche Expertise. Wichtig ist auch – insbesondere für KMU –, dass KI-Anbieter ausreichend transparent machen, was ein KI-System kann und wo die Grenzen liegen. Dies ist eine entscheidende Grundlage, um die Potenziale einschätzen und Folgen für den Betrieb und die Arbeitsorganisation abschätzen zu können. Dies soll nun die Europäische KI-Verordnung regeln – besonders für KMU eine wesentliche Erleichterung.
Was zeichnet ein erfolgreiches Change-Management bei der Einführung von KI aus?
Entscheidend sind Offenheit und vernetztes Denken. Jegliches Lager- oder Silodenken sollte überwunden werden. Der Einsatz von KI-Anwendungen im Betrieb sollte Chef*innen-Sache sein. Das bedeutet, alle Kompetenzen von Anfang an einzubeziehen. Dazu gehören neben der IT auch HR sowie Beschäftigte, Führungskräfte genauso wie Personal- oder Betriebsräte. Hilfreich kann auch sein, externe Kompetenzen in den Entscheidungsprozess einzubinden. Es sind also neue Change-Prozesse gefragt, die eine prozessorientierte Mitbestimmung einschließen. Das ist anspruchsvoll, aber die Zukunft.
Wir danken Ihnen sehr für das Gespräch!
* Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist eine von 14 sozialpartnerschaftlichen Institutionen des INQA-Steuerkreises.