Digitalisierung greifbar machen: Digitalum Wittgenstein bringt digitale Bildungs- und Mitmachangebote direkt zu den Menschen – in einem umgebauten Linienbus. Das Netzwerk will damit bei den Menschen in der Region Neugier und Freude an digitalen Werkzeugen und Anwendungen wecken und deren Vorteile für Alltag und Arbeit erlebbar machen – und damit auch einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten.
Ausgangspunkt des Projekts war die Frage, wie digitale Kompetenzen stärker in der Ausbildung verankert werden können. Mit diesem Ziel startete Andreas Kurth, damals Ausbildungsleiter bei einem Mittelständler, ein betriebsinternes Projekt. Gemeinsam mit den Auszubildenden des Unternehmens führte er eine Projektwoche zur Digitalisierung durch. Die Betriebsführung begrüßte die Initiative, merkte aber schnell: Unsere Nachwuchskräfte sind zum einen digital bereits sehr affin, zum anderen stellen sie den kleinsten Teil unserer Belegschaft.
„Da kam der Auftrag: Macht mal aus dem Ausbildungsprojekt ein Personalentwicklungsprojekt für die breite Masse an Fach- und Führungskräften“, berichtet Andreas Kurth.
Kurth und seinen Kolleg*innen war zudem schnell klar, dass auch befreundete Unternehmen mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert sind – und das branchenübergreifend: „Egal ob wir in die Industrie, ins Handwerk oder in Handel und Gastronomie geschaut haben: Der Bedarf an digitaler Bildung und Medienkompetenz ist überall groß“, so der gelernte Mechatroniker und heutige Geschäftsführer eines Bildungszentrums.
Er sprach weitere Unternehmen und Einrichtungen aus der Region an, um diese Herausforderung gemeinsam anzugehen. Dass es tatsächlich ähnlich gelagerte Bildungsbedarfe gibt, bestätigte auch die Machbarkeitsstudie, die die damals lose Interessensgemeinschaft in Kooperation mit Prof. Dr. Thomas Ludwig von der Universität Siegen durchführte.
So wurde „aus einer wilden Idee die gemeinnützige GmbH Digitalum Wittgenstein“, erzählt Andreas Kurth, der das Netzwerk neben seiner Tätigkeit im Bildungszentrum leitet. Ziel war es dabei zunächst, eines Tages ein neu erbautes Gebäude mit digitalen Bildungsangeboten zu bespielen. Doch ausbleibende finanzielle Förderung, steigende Baupreise und der Ausbruch der Corona-Pandemie machten dem neuen Netzwerk einen Strich durch die Rechnung.
Erst einmal mobil: das fahrbare Digitallabor
Die Netzwerkmitglieder – Vertreter*innen von Kommunen, Handwerk, Industrie, Handel, Tourismus, Finanzwesen, Vereinen, Kirche und Schule – wurden kreativ und entwickelten in kürzester Zeit ein Konzept für eine mobile Einrichtung.
Im April 2023 machte sich dann der 18 Meter lange, mattschwarze Gelenkbus von Digitalum Wittgenstein zum ersten Mal auf die Reise. Im Innenraum: 3-D-Drucker, Laser Cutter, Data-Science- und Programmierangebote, Informationen zu digitalen Geschäftsmodellen oder Virtual-Reality-Brillen – alles zum selbst Ausprobieren.
Angesteuert werden regionale Unternehmen unterschiedlichster Art und Größe, aber auch an Schulen, Ausbildungsmessen oder Stadtfesten macht der Bus halt. 2023 konnten so auf etwa 30 Veranstaltungen rund 3.000 Besucher*innen im Bus empfangen werden. Die Resonanz ist durchweg positiv. Menschen aller Altersgruppen und Hintergründe nehmen das Angebot wahr.
Durch die persönlichen Kontakte vor Ort entstehen oft kleinere Kooperationen. So wurde etwa ein Unternehmen im Nachgang an den Besuch im Bus zu 3-D-Druck beraten, ein Betriebsratsmitglied brachte bei nächster Gelegenheit den ganzen Betriebsrat seines Unternehmens mit.
Die Zukunft: Breitendigitalisierung im ländlichen Raum
Durch das mobile Digitallabor wird bei vielen Menschen in der Region die Neugier an digitalen Tools geweckt – und genau darin sieht Andreas Kurth ein Kernelement für eine gelungene digitale Transformation im ländlichen Raum.
„Unser fester Glaube ist es, dass es wenig Sinn ergibt, einzelne Personen zu Expert*innen für die Digitalisierung auszubilden. Der Schlüssel zur gelungenen Transformation liegt in der Breitendigitalisierung. Das heißt, es braucht niedrigschwellige Angebote für nahezu alle.“
Betriebe und Organisationen können Digitalkompetenzen Kurths Erfahrung nach entlang von drei Säulen unterstützen und aktiv gestalten:
Es ist wichtig, alle Arbeitnehmenden in den Blick zu nehmen und generationenübergreifende und geschlechtsneutrale Angebote zu schaffen. Auch die gemeinschaftliche Umsetzung im Netzwerkverbund birgt große Vorteile, insbesondere im ländlichen Raum: „Wir wussten, dass es klüger ist, ein Problem, was man gemeinsam hat, auch gemeinsam zu lösen“, so Andreas Kurth.
Wichtig sei es, Vorbehalte abzubauen und die Lust an digitalen Tools zu entfachen. Die Sorge, dass durch Digitalisierung Arbeitsplätze verloren gehen, kann so genommen und Technologie als hilfreiche Ergänzung bei der eigenen Tätigkeit erkundet werden. „Die Menschen fühlen sich bei uns ernst genommen, können alle Fragen stellen und bekommen da eine vernünftige Antwort drauf“, so Andreas Kurth.
Erst in einem letzten Schritt geht es dann darum, Verstetigung herbeizuführen und individuelle, längerfristige Weiterbildungsangebote zu schaffen. Hier setzt auch Digitalum Wittgenstein künftig mit der eigenen Netzwerkarbeit an. Andreas Kurth berichtet: „Wir wollen zu einem fixen Regelbetrieb kommen, wo Leute, die wir für die Digitalisierung interessiert haben, dann auch ein fortlaufendes Modell der Qualifizierung finden. Hier helfen uns wiederum wertvolle Kooperationen mit dem Fab Lab Siegen oder der FernUniversität in Hagen, aber auch die Zusammenarbeit mit Projekten wie den European Digital Innovation Hubs (EDIH) und dem Mittelstand-Digital Zentrum Ländliche Regionen.“
Der Erfolg des aufsuchenden Angebots mit dem Bus hat den Fokus von Digitalum Wittgenstein verändert. Anstatt einen Großteil der Ressourcen in die Realisierung eines neuen Gebäudes zu stecken, wird das fahrbare Digitallabor weiterentwickelt und startet nun in die zweite Saison. Auch in diesem Jahr werden so wieder Tausende für Digitalisierung begeistert und der Nährboden für lebenslanges Lernen in der Region Siegen-Wittgenstein geschaffen.