Seinen Ursprung hat das Projekt „Steuerdurchstarter“ in einem Netzwerk mehrerer Steuerberatungskanzleien aus Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. „Wir haben uns auf Geschäftsführungsebene regelmäßig ausgetauscht. Da stand gar nicht so sehr das Steuerfachliche im Vordergrund, sondern der Netzwerkgedanke, also wie wir uns unterstützen können“, erzählt Mario Frisch, Geschäftsführer der navigator Gruppe, einer Kanzlei aus Gütersloh mit rund 100 Mitarbeitenden an sechs Standorten.
Relativ schnell rückte hierbei auch das Thema Ausbildungsmarketing und Fachkräftegewinnung in den Vordergrund. „Unser Beruf wird in der Öffentlichkeit ja gerne als staubtrocken dargestellt. Wir erleben unseren Job tagtäglich aber eigentlich komplett anders“, erzählt Mario Frisch. „Also haben wir in unserem Netzwerk überlegt: Wie schaffen wir Neugierde für diesen Beruf, wie können wir junge Menschen dafür begeistern?“
Kooperation statt Konkurrenz: die Steuerdurchstarter
Aus diesen Überlegungen entstand das Projekt „Steuerdurchstarter“, in dem neun Kanzleien gemeinsam bei der Nachwuchswerbung und der Entwicklung von Ausbildungsstrategien kooperieren. Koordiniert wird das Netzwerkprojekt von Heidi Stindt, Personal- und Organisationsberaterin der navigator Gruppe.
„Eine wichtige Voraussetzung war, dass der Austausch auf der Ebene der Geschäftsführenden schon gut lief. Wir haben dann in die einzelnen Kanzleien geschaut: Wer ist da für die Ausbildung zuständig, wen müssen wir mit ins Boot holen. Jetzt haben wir ein tolles Team aus Personalern und ausbildenden Fachkräften, die gemeinsam das Projekt steuern“, erzählt sie.
Dabei wird das Ausbildungsprojekt in den beteiligten Kanzleien auch als wichtiger Baustein in der strategischen Personalplanung gesehen. Neben der Talentgewinnung sorgt das Projekt auch für eine Kompetenzentwicklung durch gemeinsame Weiterbildungsprogramme und den Austausch von Ideen und Innovationen zur Fachkräftesicherung zwischen den teilnehmenden Kanzleien.
Mehr für alle: So fördern die Steuerdurchstarter die Attraktivität der Ausbildung
Ergänzend zur Berufsschule und zum dualen Studium bietet das Netzwerk seinen aktuell rund 40 Auszubildenden und dual Studierenden kanzleiübergreifende Seminare zu Soft Skills oder fachlichen Themen an. Es werden gemeinsame Ausbildungskonzepte und Unterlagen zu Ausbildungsinhalten und zur Prüfungsvorbereitung entwickelt und umgesetzt – und so auch die kontinuierliche Weiterbildung des Ausbildungspersonals und der Wissenstransfer zwischen den Kanzleien gefördert.
In praxisnahen Projekten lernen die Auszubildenden kanzleiübergreifend den Umgang mit beruflichen Herausforderungen. In einem Projekt ging es beispielsweise darum, mit welchen Maßnahmen die Kanzleien nachhaltiger aufgestellt werden können. Wichtig sei dabei, so Heidi Stindt, dass es nicht bei Konzepten bleibt. Die Auszubildenden mussten Kosten und Nutzen für die Maßnahmen kalkulieren und diese dann den Geschäftsführenden der jeweiligen Kanzleien vorstellen. „Durch die dann zum Beispiel umgesetzten Wassersparer konnten die Kanzleien inzwischen jede Menge Wasser und damit auch Kosten sparen“, erzählt Heidi Stindt schmunzelnd.
Nicht nur die beteiligten Kanzleien bilden ein Netzwerk, auch die Auszubildenden sind eine Gemeinschaft. Der Grundstein dafür wird direkt zu Beginn des Ausbildungsjahres gelegt, wenn alle Auszubildenden eines Jahrgangs zu einer mehrtägigen Kick-off-Veranstaltung in einem Tagungshotel zusammenkommen – wo neben fachlichen Schulungen und Kommunikationsworkshops auch teambildende Maßnahmen auf dem Programm stehen. Neben dem Teamgeist bilden sich dabei auch Chatgruppen, in denen sich die Auszubildenden während ihrer Ausbildung austauschen und gegenseitig unterstützen können.
Synergien werden auch im Ausbildungsmarketing genutzt. Ausbildungsangebote werden auf einer gemeinsamen Internetseite angeboten, Ausbildungsmessen im Namen der Marke besucht. Dabei profitieren insbesondere die kleineren Kanzleien im Netzwerk von einem gemeinsamen Messestand sowie von Infomaterial und Give-aways.
Zur Attraktivität der Ausbildung trägt auch die Unternehmenskultur bei, die in den beteiligten Kanzleien bewusst gelebt wird – und in die die Auszubildenden von Beginn an eingebunden werden. „Es sprechen ja immer alle von flachen Hierarchien. Wir haben dann überlegt: Wie setzt man diese tatsächlich um?“, erzählt Heidi Stindt. So wird zum Beispiel großer Wert darauf gelegt, dass auch die Geschäftsführer bei einzelnen Teamevents mit dabei sind. „Dann sind das nämlich nicht nur die, die einem am ersten Tag die Hand geschüttelt haben. Sondern auch die, mit denen man sich mal abends beim Grillen unterhalten hat.“ Damit ist der Ton gesetzt: Auszubildende und dual Studierende sind von Anfang an vollwertige Teammitglieder. „Es gibt bei uns keine unnötigen Barrieren zwischen Azubis und Vorgesetzten – wir setzen auf direkten Austausch und offene Türen. Die Azubis können jederzeit eigene Ideen einbringen und früh selbst Verantwortung übernehmen“, so Heidi Stindt. Auch in den regelmäßigen Feedbackgesprächen und gemeinsamen Projekten findet ein Austausch auf Augenhöhe statt.
Die Vorteile der Kooperation liegen auf der Hand: Die Zusammenarbeit spart Ressourcen bei den einzelnen Kanzleien, gleichzeitig bietet sie Mehrwerte, die eine Kanzlei allein nicht bieten könnte. Die Qualität und Attraktivität der Ausbildung steigen. Entstehende Kosten werden gemeinsam getragen, daneben bringt jede Kanzlei ihre Erfahrungen und weitere Ressourcen ein.
„Wir wollen unserem diesjährigen Abschlussjahrgang zum Beispiel zur Vorbereitung auf die mündliche Abschlussprüfung eine Prüfungssimulation anbieten – dann gucken wir im Netzwerk, wer das machen kann, und bereiten die Simulation so authentisch wie möglich vor“, berichtet Heidi Stindt.
Engagement für ein gemeinsames Ziel: gut ausgebildete Nachwuchskräfte
Für den Erfolg entscheidend ist letztendlich, so Heidi Stindt und Mario Frisch, dass alle merken: Das bringt was, das hilft uns. Für den reibungslosen Ablauf sorgen ein vertrauensvolles Miteinander, gemeinsame Spielregeln und der Griff zum Telefonhörer, wenn es doch mal irgendwo hakt.
Wichtig sei auch gewesen, zu Beginn der Kooperation die Rahmenbedingungen zu gestalten und die verantwortlichen Personen in den Kanzleien mit den entsprechenden Befugnissen auszustatten, „damit nicht wegen jeder kleinen Rechnung oder Maßnahme erst ein Meeting stattfinden und die Erlaubnis der Geschäftsführung eingeholt werden muss“, so Heidi Stindt.
„Wir ticken als Kanzleien alle ähnlich, arbeiten auch in anderen Bereichen zusammen, das macht es einfach“, betont Mario Frisch. Auch die Größe des Netzwerks mit neun beteiligten Kanzleien sei passend, um kurze Entscheidungswege zu haben.
„Und dann muss es natürlich ein paar Aktivposten geben, die das ganze Projekt antreiben und die sich sagen: Okay, wir verlassen uns nicht auf die Kammern oder andere Akteure. Wir bringen unseren Beruf selbst nach vorne“, betont Mario Frisch. „Gute Fachkräfte wachsen schließlich nicht auf den Bäumen. Wir machen sie uns selbst.“
Das Projekt „Steuerdurchstarter“ ist in der Kategorie „Innovatives Netzwerk“ für den Deutschen Fachkräftepreis 2025 nominiert.