Das Thema Alleinerziehende im Betrieb ist von wachsender Relevanz, insbesondere in einer Stadt wie Berlin, in der rund ein Drittel der Haushalte mit Kindern alleinerziehend ist. Betroffen davon sind überwiegend Frauen. Diese bringen gleichzeitig ein oft nicht erschlossenes Potenzial als Arbeitnehmerinnen für Unternehmen mit.
Das Netzwerk Alleinerziehende Friedrichshain-Kreuzberg verfolgt das Ziel, das Potenzial Alleinerziehender stärker in das Bewusstsein von Unternehmen zu rücken und ihnen gleichzeitig einen einfachen Zugang zu den vielfältigen Beratungs- und Unterstützungsangeboten zu ermöglichen.
Unter dem Motto „Gemeinsam STARK für Alleinerziehende!“ haben sich Akteur*innen aus Verwaltung, freien Trägern, Anbietern und Einrichtungen sowie aus der Wirtschaft im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg zusammengetan. Koordiniert wird das Netzwerk von Pauline Potschka.
„Familienfreundlichkeit ist in vielen Unternehmen als effektives Mittel gegen den Fachkräftemangel etabliert. Alleinerziehende werden dabei jedoch häufig übersehen“, erzählt die Netzwerkkoordinatorin.
Um dem entgegenzuwirken, initiierten die Koordinierungsstelle für Alleinerziehende in Friedrichshain-Kreuzberg, das Jobcenter Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, der Friedrichshain-Kreuzberger Unternehmerverein (FKU) und die Wirtschaftsförderung Friedrichshain-Kreuzberg eine Ideenwerkstatt, in der das Netzwerk den Unternehmenspreis „niellA“ (das Wort „Allein“ rückwärts gelesen) entwickelte.
2023 wurde der Preis im Rahmen der Aktionswochen „Menschen in Arbeit – Fachkräfte in den Regionen“ des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erstmalig verliehen.
Das Netzwerk zeichnet seit 2023 Unternehmen aus, die Alleinerziehende besonders gut unterstützen
Ausgezeichnet wurde 2023 bei der ersten Preisverleihung die Geisler & Schambach GmbH, ein mittelständisches Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie, das seit 1939 in Kreuzberg ansässig ist.
Überzeugt hat die Jury des Preises ein ganzes Bündel an Maßnahmen, welches das Unternehmen anbietet. Alleinerziehenden Mitarbeiter*innen werden flexible Arbeitszeitmodelle, die monatlich angepasst werden können, und eine kurzfristige Reduzierung oder Erhöhung der Arbeitszeit ermöglicht. In der herausfordernden Zeit der Corona-Pandemie organisierte das Unternehmen schnell eine Kinderbetreuung. So konnten Mitarbeitende ihre Kinder mit zur Arbeit bringen. Die Produktion lief weiter.
Diese Flexibilität, die für das Unternehmen auch einen administrativen Mehraufwand bedeute, sorge nicht nur für eine ausgewogene Work-Life-Balance der Mitarbeitenden, es gelänge dem Unternehmen dadurch auch, seine Mitarbeitenden langfristig zu binden, betont Geschäftsführer Dr. Henning von der Osten. „Dadurch, dass wir das Potenzial von Alleinerziehenden erkennen und fördern, stärken wir unsere eigene Wettbewerbsfähigkeit.“
Diese Haltung äußere sich in vielen Bewerbungen um den Unternehmenspreis, betont Pauline Potschka: „Wir sehen, dass Unternehmen, die offen und lösungsorientiert auf die Bedürfnisse von Alleinerziehenden eingehen, nicht nur die Zufriedenheit und Loyalität ihrer Mitarbeitenden erhöhen, sondern auch deren Potenzial besser nutzen können. Dies führt zu einer stärkeren Bindung der Mitarbeitenden ans Unternehmen und trägt zu einer positiven und inklusiven Unternehmenskultur bei.“
Die Erfahrungen des Netzwerks zeigen, dass es insbesondere vier Faktoren sind, die bei der Unterstützung von Alleinerziehenden von Bedeutung sind:
Vier Faktoren für eine alleinerziehend-freundliche Unternehmenskultur
Oft wissen Unternehmen nicht, welche spezifischen Herausforderungen ihre alleinerziehenden Mitarbeitenden haben. Diese zu identifizieren, ist der erste Schritt, um alleinerziehende Arbeitnehmende zu unterstützen. Dies setzt eine offene Kommunikation im Unternehmen voraus. Es braucht eine Unternehmenskultur, in der sich Mitarbeitende trauen, über ihre Herausforderungen zu sprechen.
Es gilt, das gesamte Kollegium mitzunehmen und Verständnis für die besondere Situation von Alleinerziehenden zu schaffen. Dies kann dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und ein harmonisches Arbeitsumfeld zu fördern. Vertrauen und Vertraulichkeit im Betrieb spielen hierbei eine zentrale Rolle, besonders da das Thema Alleinerziehendsein oft auch noch stigmatisiert wird.
Indem Unternehmen verschiedene Arbeitszeitmodelle anbieten oder mobiles Arbeiten ermöglichen, können sie den Bedürfnissen von Alleinerziehenden besser gerecht werden. Die Möglichkeit, Arbeitszeiten individuell anzupassen oder kurzfristig zu ändern, erwies sich als besonders wertvoll. Auch das Job-Sharing in Führungspositionen kann eine wichtige Maßnahme sein, um Alleinerziehenden Karrierechancen zu bieten.
Unternehmen, die Care-Tage anbieten, an denen Kinder ohne Krankenschein zu Hause betreut werden können, oder die eine bevorzugte Urlaubsplanung für Alleinerziehende ermöglichen, schaffen wichtige Rahmenbedingungen für ihre Mitarbeitenden. Maßnahmen wie die schnelle Entfristung von Arbeitsverträgen oder die Unterstützung bei der Kitaplatzsuche können zudem die Loyalität der Mitarbeitenden stärken.
Voneinander lernen: Der Unternehmenspreis fördert den Austausch
Der niellA-Unternehmenspreis dient nicht nur als Auszeichnung, sondern auch als Plattform für Vernetzung und Wissensaustausch zwischen Unternehmen. Als Experte auf dem Gebiet der Unterstützung alleinerziehender Eltern spielt der Friedrichshain-Kreuzberger Unternehmerverein eine entscheidende Rolle, um die Bedeutung dieses Preises hervorzuheben. Gerade die 32-jährige Erfahrung in der Netzwerkgestaltung hat sich als wesentlicher Erfolgsfaktor erwiesen, um Unternehmen den Zugang zu wertvollem Wissen und Best Practices zu ermöglichen.
Ziel des Preises ist es, ein „alleinerziehend-freundliches“ Unternehmensnetzwerk zu etablieren, das als Marke und Symbol für vorbildliche Unternehmenskultur steht. „Wir wollen, dass das Thema kontinuierlich in die Unternehmenskultur weiterer Betriebe getragen wird. Durch die Identifikation der Gewinnerbetriebe mit dem Preis und dem Netzwerk wird die Reichweite und Wirkung des Preises verstärkt“, so Pauline Potschka.
Ein wichtiger Bestandteil dieser Initiative ist, dass der Gewinnerbetrieb des Preises aus dem Vorjahr als Laudator für die nächste Verleihung fungiert. Dies symbolisiert einen Staffelstab, der weitergereicht wird. So gibt Dr. Henning von der Osten seine Erfahrungen und Ideen nicht nur innerhalb des Netzwerks, sondern auch an andere Unternehmen weiter. Im September 2024 zeichnete er die ODS – Office Data Service GmbH, eine Digitaldruckerei aus Berlin-Friedrichshain, für ihr vorbildliches Engagement bei der Schaffung alleinerziehend-freundlicher Arbeitsbedingungen aus.
Das Unternehmen ermöglicht es seinen 38 Mitarbeitenden, die wöchentliche Arbeitszeit flexibel an die Bedürfnisse der Kinderbetreuung anzupassen. Zudem werden Freizeitaktivitäten der Kinder bei der Planung der Arbeitszeiten berücksichtigt.