Frau Paaß, was ist für Sie ein Zukunftsort und was ist das Besondere an Ihrem Netzwerk?
Zukunftsorte sind gemeinschaftlich getragene Wohn- und Arbeitsprojekte. Sie beleben leerstehende Gebäude in ländlichen Gegenden und schaffen neue Angebote und Treffpunkte für das Umfeld. Die Menschen, die Zukunftsorte aufbauen, vernetzen sich vor Ort mit denen, die schon viel länger als sie selbst in der Region leben. Unsere offenen Treffpunkte sind uns hier besonders wichtig, weil sie zu Begegnungsorten in Gemeinden, Dörfern oder Kleinstädten werden. Man lernt sich persönlich kennen und setzt vor allen Dingen gemeinsame Projekte um. Dann kommt es zu Annäherung, vielleicht auch zu Freundschaft und Gemeinschaft. Unsere Stärke als Netzwerk ist, dass wir die vielen verschiedenen Erfahrungen, die es in den Projekten gibt, bündeln können. Gleichzeitig bauen wir eine Community auf, die dabei hilft, dass Leute sich gegenseitig stärken und gemeinsame Projekte anschieben.
Wie trägt das Netzwerk zur Fachkräftesicherung bei?
Einer der wichtigsten Schlüssel, um ländliche Regionen attraktiver zu machen, ist die Lebensqualität vor Ort. Aber vielen Regionen fehlt bisher die Infrastruktur, die Menschen in der Stadt schätzen: kulturelle Orte, Treffpunkte, um neue Leute kennenzulernen, Bildungsmöglichkeiten und Mobilität.
Wie lässt sich das ändern?
Zukunftsorte bieten Sportaktivitäten, Cafés und Kneipen, Veranstaltungsorte für Konzerte, Theater, Seminar- oder Workshopangebote. Ein weiterer Teil unserer Vision sind Sharing-Ansätze wie Carsharing, gemeinsames Nutzen von Räumen oder Nachbarschaftshilfe. An unserem Zukunftsort Hof Prädikow gibt es zum Beispiel viele Fahrgemeinschaften und einige Menschen, die sich ein Auto zu dritt oder viert teilen, ebenso eine Werkstatt und ein Coworking Büro. Damit schaffen wir eine eigene Infrastruktur und somit auch Lebensqualität. Digital arbeitende Menschen erhalten in Zukunftsorten auch Kontakt zu Leuten mit ähnlichen Interessen. So ergeben sich neue Kooperationsmöglichkeiten und fachlicher Austausch. Damit funktionieren diese Orte wie kleine Magneten: Sie ziehen Familien, Gründer*innen oder Selbstständige an, aber auch Menschen, die für Firmen in der Region tätig sind. In Prädikow haben sich beispielsweise ein Lehrerpaar und eine Allgemeinärztin niedergelassen. Die Menschen freuen sich über die neue Praxis und junge, motivierte Lehrkräfte.
Welche Formen der Zusammenarbeit gibt es mit Unternehmen vor Ort?
Der Zukunftsort RothenklempeNOW in Mecklenburg-Vorpommern betreibt biologische Landwirtschaft und kooperiert unter anderem mit regionalen Food-Start-ups. Die Initiative Höfe-Gemeinschaft Pommern bietet dagegen Veranstaltungen rund um das Thema Landwirtschaft und Nachhaltigkeit für Unternehmen und Bildungseinrichtungen an. Der Hof selbst beschäftigt Menschen aus den umliegenden Orten. Darüber hinaus gibt es das Projekt Coconat im brandenburgischen Bad Belzig: Hier arbeiten viele regionale Partner*innen in den Bereichen Dienstleistung und Produktion zusammen und entwickeln in Kooperation ein Projekt zum Thema ländliche Mobilität. Und Start-ups haben in diesem Zukunftsort die Möglichkeit, Projekt- und Lagerflächen in der Werkstatt zu nutzen. Der Coworking Space LUG2 ist ein Beispiel für das gemeinsame Gestalten und Netzwerken in der Lausitzer Region Elbe-Elster. Hier engagieren sich Selbstständige zusammen mit dem Unternehmer*innen-Netzwerk Neopreneurs, dem Verein Generationen gehen gemeinsam (G3), der Rückkehrerinitiative Comeback Elbe-Elster sowie der Stadt Herzberg. Mit Unterstützung regionaler Unternehmer*innen können Coworking-Arbeitsplätze zu günstigen Konditionen angeboten werden.
Wie kann das Potenzial der Zukunftsorte noch stärker für die Fachkräftegewinnung genutzt werden?
Ein Beispiel sind gemeinsame Veranstaltungen von Unternehmen und den Zukunftsort-Macher*innen. Sie bieten einen wertvollen Austausch darüber, was in der Region passiert und warum sie für Fachkräfte und Unternehmen interessant sein kann. Oder nehmen Sie die gemeinschaftlichen Wohnprojekte: Sie werden bisher noch viel zu wenig als unternehmensrelevantes Thema gesehen. Zukunftsorte bieten auch dadurch die Chance, Fachkräfte zu gewinnen. Als neuer Lebensort können sie die Zufriedenheit der Mitarbeitenden steigern, denn das Pendeln aus der Stadt entfällt. So kann es sich für Unternehmen lohnen, Kontakt zu Zukunftsorten in ihrer Nähe zu suchen und sie zu unterstützen. Oder schauen wir konkret in das Handwerk. Handwerksbetriebe der Region und Zukunftsorte könnten über Bildungsprojekte kooperieren. Zukunftsorte stellen ihre offenen Werkstätten zur Verfügung, um junge Menschen an das Handwerk heranzuführen. In einem kreativen Ambiente und lockerer Atmosphäre erfahren sie, wieviel Spaß Handwerk machen und was daraus entstehen kann. Zukunftsorte könnten – durch Kooperation mit regionalen Unternehmen und Trägern – auch eine Rolle dabei spielen, Menschen ohne Berufsausbildung einen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
Wie können Regionen mit ähnlichen Strukturen von Ihrem Netzwerkkonzept profitieren?
In regelmäßig stattfindenden, offenen Veranstaltungen wie der Dialogreihe „Wandel.Machen.Vor Ort“ oder digitalen Meetups können Menschen Erfahrungen und ihr Wissen darüber teilen, wie konkreter Wandel vor Ort funktioniert. Aktuell richten wir ein Beratungs-Netzwerk ein, welches das Wissen, das über Jahre in den Projekten gesammelt wurde, an Interessierte weitergibt und ihnen dabei hilft, ebenfalls Zukunftsorte aufzubauen. Daneben wird es ein Netzwerk für Kommunen geben. Engagierte Bürgermeister*innen und Behördenmitarbeitende können sich hier gegenseitig darin bestärken und weiterbilden, solche Projekte in ihre Stadt oder ihre Gemeinde zu holen. Wir möchten zukünftig ein thematisches und regionales Angebot für alle schaffen, die sich beraten lassen möchten. Das können Projekte sein, aber auch Kommunen, Eigentümer*innen oder Unternehmen.