Als Claudia Grimm mit der Schule fertig war, hatte sie die Wahl: Aufnahme eines Studiums oder Rückkehr nach Rumänien. Grimm wollte ihre Aufenthaltserlaubnis in Deutschland nicht verlieren und so schrieb sie sich für den einzigen Studiengang ein, an dem sie in ihrer Heimatstadt Furtwangen auf Anhieb einen Platz bekam – Technische Informatik. „Das war schon heftig“, sagt sie im Rückblick und lacht. „Ich war zwar immer gut in Mathe und Physik, aber von Computern hatte ich keinen Schimmer. Ich besaß nicht mal einen.“ In ihrem Jahrgang war sie die einzige Frau unter 49 Männern, und als sie zum ersten Mal den Hörsaal betrat begrüßte der Professor sie mit den Worten: „Na junge Dame, Sie haben sich wohl in der Tür geirrt?!“ Grimm parierte mit einem „Nein, ich bin hier richtig“, und setzte sich. Die einzige Chance, die sie hatte – sie war fest entschlossen, sie zu nutzen.
Der richtige Weg
20 Jahre später ist Claudia Grimm immer noch davon überzeugt, dass sie mit ihrer (nicht ganz freiwilligen) Wahl richtig lag. Nach dem Vordiplom wechselte sie zur Wirtschaftsinformatik, machte ihren Abschluss und begann eine Karriere als IT-Entwicklerin. Heute möchte sie Kindern und Jugendlichen – und vor allem Mädchen und jungen Frauen – Mut machen, sich ebenfalls ans Coden zu wagen. So gibt sie im Rahmen ihrer Claudia Grimm Academy Online-Workshops im Programmieren und tritt unter dem Motto „Go for IT, Girls“ bei Veranstaltungen auf. Vorbilder wie Grimm sind wichtig, schließlich hatte laut Bitkom mehr als jedes zehnte Unternehmen der IKT-Branche 2022 keine Frau in der Belegschaft, und in drei Vierteln der Betriebe lag ihr Anteil bei weniger als 25 Prozent. Gleichzeitig gehört der*die Informatiker*in laut Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) zu den zehn Berufen in Deutschland mit der größten Fachkräftelücke. Ein riesiger Talentepool bleibt also ungenutzt. Anbetracht der rasanten Entwicklung im digitalen Bereich ist das ein großes Problem.
Das Balkendiagramm zeigt die Verbesserung des Betriebsklimas durch gemischte Teams (93%) und die Erhöhung der Produktivität durch gemischte Teams (73%)
„Gemischte Teams sind erfolgreicher, kreativer und leistungsstärker“
Tischtennis, Teilzeit und ein Trampolin, frisches Obst und eine freundliche Unternehmenskultur – Gal Digital hat für ein mittelständisches Unternehmen viel zu bieten. „Uns wird oft gesagt, wie ungewöhnlich stark wir uns doch für unsere Mitarbeitenden engagieren“, erklärt Daniel Gal mit Stolz in der Stimme. Weniger stolz macht ihn jedoch, dass nur sieben seiner 40 Mitarbeitenden weiblich sind. „Ich hätte gerne mehr Frauen im Unternehmen“, betont der hessische Firmengründer. „Nicht nur, weil ich gerne mit ihnen zusammenarbeite, sondern auch, weil diverse Teams nach meiner Erfahrung erfolgreicher, kreativer und leistungsstärker sind“. Darum wandte er sich 2022 an die Gießener Erstberatungsstelle des damaligen INQA-Programms Unternehmenswert Mensch (uWM) / Woman in Tech, und landete bei Elisabeth Wissler. Die erfahrene Beraterin und das fünfköpfige interne Projektteam nahmen sich zunächst vor, herauszufinden, wie die Belegschaft auf dieses Thema blickt.
Neue Kolleg*innen verändern das Arbeitsklima
Das Ergebnis: Rund die Hälfte der Frauen wünschten sich zwar eine leichte, aber keine allzu große Steigerung des Anteils von Kolleginnen; und viele Männer sahen keinen Anlass zum Handeln. Wissler wundert das nicht. „Wenn sich die Zusammensetzung der Belegschaft ändert, hat das immer Auswirkungen. So haben Frauen oft andere Ansprüche an ihr Arbeitsumfeld, gehen anders mit Konflikten um, kommunizieren anders“, erklärt sie. Wer das eigene Arbeitsumfeld so schätzt, wie es ist, fürchte sich oft vor Veränderungen. Bei Gal Digital wurde daher beschlossen, erst einmal einen Frauenanteil von einem Viertel anzustreben, das heißt: Drei Frauen mehr. Im Rahmen von Design Thinking entwickelte das Team Personas von künftigen Mitarbeiterinnen, überlegte, wo diese zu finden sind, und beschloss, die vorhandenen Kolleginnen künftig stärker als Role Models zu platzieren, zum Beispiel in einem neuen Image-Film. „Darin sollen sie eine deutlich aktivere Rolle einnehmen als in dem alten, in dem sie nur dabeisitzen und zuhören“, erläutert Wissler.
83% der Unternehmen meinen, dass die Wirtschaft auf IT-Spezialistinnen angewiesen ist, um dem Fachkräftemangel zu begegnen.
„Endlich verstehen wir, was du beruflich machst“
Auf Role Models setzt auch Frauen@DiWiSH 2021, die Frauenfachgruppe des Netzwerks Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein (DiWiSH). Sie vereint Frauen, die in IT-Berufen oder in IT-Unternehmen tätig sind und wirbt für mehr weibliche Präsenz in der Digitalwirtschaft. Eine wichtige Aufgabe, schließlich glauben noch immer fast 40 Prozent der Deutschen, dass Frauen „kaum Interesse an IT und Technik“ haben. Zu diesem Ergebnis kam 2023 eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag von eco – Verband der Internetwirtschaft. „Auch wenn wir seit Jahrzehnten dagegen ankämpfen, es gibt dieses Vorurteil leider noch immer“, klagt Regine Schlicht, eine von zwei Gruppensprecherinnen. Auch darum setzte die Frauenfachgruppe eine Social-Media-Kampagne auf, in der Interface Designerinnen, Datenanalystinnen und andere über ihre Arbeit erzählten. „Mehr als 30 Frauen machten mit“, berichtet Schlicht, und die Resonanz der Öffentlichkeit war groß. „Nachbarinnen aber auch Schulfreundinnen meiner Tochter sprachen mich an und sagten: Endlich verstehen wir, was du beruflich machst“, erinnert sich Co-Sprecherin Christina Bober.
Networking um Frauen zu gewinnen und zu halten
Noch mehr als Öffentlichkeitsarbeit steht Networking im Fokus von Frauen@DiWiSH. Regelmäßig lädt die Gruppe zu Veranstaltungen und Konferenzen ein, bei denen weibliche Führungskräfte auf IT-Expertinnen mit Berufserfahrung, Jobeinsteigerinnen und Studentinnen treffen. Der persönliche Austausch wird erleichtert durch Gesprächstermine in kleinen Runden, für die man sich vorab anmeldet. „So kommen die Frauen wirklich miteinander in Kontakt“, schwärmt Schlicht. Das Ziel: „Wir vernetzten Frauen aus der IT, um gemeinsam für die IT zu begeistern.“ Vielen werde dabei auch bewusst, dass es nicht unbedingt IT-Skills braucht, um in der Digitalbranche zu arbeiten – so studierte Christina Bober zum Beispiel BWL und ist heute Geschäftsführerin eines IT-Unternehmens. Schlicht: „Wir wollen zeigen, wie facettenreich die Branche ist, denn Vielfalt ist nötig, um voranzukommen.“ Oder anders ausgedrückt: Der digitale Wandel kann nur gelingen, wenn er von diversen Teams gemeinsam gestaltet wird. Und dafür braucht es eben auch Frauen.