Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Teilhabe an allen gesellschaftlichen Aspekten, auch am Arbeitsleben. Der Internationale Tag der Menschen mit Behinderung am 3. Dezember soll daran erinnern, dass die Rechte und das Wohlergehen dieser Menschen in allen Bereichen der Gesellschaft gefördert und das Bewusstsein für ihre Situation gestärkt werden. Das Inklusionsbarometer Arbeit 2023 von Aktion Mensch und Handelsblatt Research zeigt: Obgleich die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderung 2022 auf einen Tiefstwert von knapp unter elf Prozent gesunken ist, liegt sie noch immer mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Quote. Ob es sich um einen Ausbildungsplatz oder um eine reguläre Arbeit auf dem ersten Arbeitsmarkt handelt: Das Recht von MmB auf Teilhabe am Arbeitsleben wird noch nicht vollumfänglich umgesetzt.
Inklusion auf dem Arbeitsmarkt verbessern: Aufholen bei der Barrierefreiheit
Wie lassen sich die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt verbessern? Für Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung, spielen dabei strukturelle Ursachen eine wichtige Rolle: Damit Betroffene ihr volles Potenzial entfalten können, benötigen sie barrierefreie Angebote. Das bedeutet, Gebäude, Verkehrsmittel oder der Arbeitsplatz sind für alle Menschen leicht zugänglich. Bei diesem Thema habe Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern Aufholbedarf. „Wir müssen erkennen: Barrierefreiheit hat nicht nur eine soziale Dimension, sondern ist ein Qualitätsstandard für ein modernes Land.“
Den coronabedingten Digitalisierungsschub sieht Dusel ambivalent: „Menschen, die mobilitätseingeschränkt sind, können davon profitieren.“ Andererseits gelte auch bei digitalen Kommunikations- und Arbeitsmitteln: Die Angebote müssen barrierefrei sein. Zudem dürfe die Digitalisierung nicht dazu führen, dass vor allem Menschen mit schwerer Behinderung dauerhaft ins Homeoffice verbannt werden: „Sie benötigen Interaktion im Betrieb und der Dienststelle, damit sie nicht vereinsamen.“
Teilhabe beginnt im Kopf: Warum es einen Bewusstseinswandel braucht
Noch entscheidender als mangelnde Infrastruktur ist für Jürgen Dusel aber ein anderes Problem – und das beginnt im Kopf. So seien es die vielen Vorurteile, die Arbeitgeber*innen davon abhalten, Menschen mit Behinderung einzustellen. Die drei gängigsten sind, dass sie häufiger krank und generell weniger leistungsfähig seien als andere Beschäftigte und nur schwer zu kündigen. Alle drei Vorurteile, versichert Dusel, würden regelmäßig widerlegt. Vielmehr mache es für Arbeitgeber*innen auch „aus betriebswirtschaftlichen Gründen“ Sinn, sich dieser Gruppe zuzuwenden – vor allem in Zeiten des Fachkräftemangels. So seien unter den Arbeitslosen Menschen mit Behinderung häufig besser qualifiziert als andere Arbeitssuchende: „Eine Win-Win-Situation“, erklärt Dusel. Die Praxis zeigt, dass Unternehmen, die das Thema Inklusion gezielt angehen, damit auch erfolgreich sind.
Förderung nutzen: gesetzliche Verbesserungen für mehr Teilhabe
Damit noch mehr Betriebe diese Chance erkennen, braucht es politische Unterstützung. Denn die Aufklärungsarbeit der Bundesregierung zeigt: Unternehmer*innen fehlen häufig konkrete Kenntnisse zu Fördermöglichkeiten, Beratungsdiensten und Unterstützungsleistungen für eine gelungene Inklusion. Zwar gibt es seit vielen Jahren Inklusionsberatungen, Integrationsfachdienste oder den Technischen Beratungsdienst – doch der Zugang dazu war recht schwierig. Durch das Teilhabestärkungsgesetz gibt es in Deutschland seit 2022 einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber*innen (EAA). Der Gesetzgeber möchte vor allem kleine und mittlere Unternehmen dabei unterstützen, MmB auszubilden und einzustellen. Insbesondere können ihnen die einheitlichen Ansprechstellen die Laufarbeit zu verschiedenen Trägern und Institutionen abnehmen.
Inklusion leben: Vorurteilen von klein auf keine Chance geben
Doch das größte Potenzial, um MmB gut in den Arbeitsmarkt zu integrieren, sieht Jürgen Dusel weder in betriebswirtschaftlichen Berechnungen noch in vereinfachten Unterstützungsleistungen, sondern bereits in der Kindheit. „Kinder sollten gemeinsam groß werden und voneinander lernen“, fordert er. Wie sich das langfristig auswirkt? Dusel selbst ist das beste Beispiel: „Ich bin fast vollständig blind und habe auf einer Regelschule Abitur gemacht. Meine Mitschüler*innen wussten zwar, dass man mit mir nicht gut Fußball spielen kann, aber sie kannten jemanden mit Behinderung, der sein Abi geschafft hat.“ Eine Erfahrung, die offenbar nachhaltig prägte. So habe der überwiegende Teil der Mitschüler*innen, die später Personalverantwortung übernommen haben, auch selbst Menschen mit Behinderungen eingestellt. „Weil sie gelernt haben, dass wir keine defizitären Wesen sind“, resümiert Dusel.